Zahnärztliche Akademie

Zahnheilkunde - neue Techniken und neue Perspektiven

2013-2020

Die Quellen:

Entscheidungsfindung vom Befund zur adäquaten Therapie im Milchgebiss: Ulbricht, Simone (2019): Karies im Milchgebiss: Füllung, Krone, Extraktion? Die Entscheidungsregeln. Zahnärztliche Mitteilungen 18, S. 40-50

Zentraler Anspruch der Kinderzahnheilkunde ist: Jeder Milchzahn sollte (wenn überhaupt) nur einmal behandelt werden. Daher sind frühzeitige sowie regelmäßige zahnärztliche Kontrollen unerlässlich. Neben einer soliden klinischen Untersuchung (Karies, Zahnfarbe, Schwellung, Rötung, Fistel, Zahnbeweglichkeit in Abhängigkeit von Zahnwechsel, Zustand der Nachbarzähne) spielt die röntgenologische Diagnostik (Umfang der Karies, interradikuläre Aufhellungen, Resorptionen, Lage des Zahnkeims) für die vorausschauende Planung und für die erfolgreiche Therapie eine wichtige Rolle.

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Fallberichte aus der Kinderzahnheilkunde: Ulbricht, Simone (2014): Umfassende Sanierung eines Milchgebisses in Vollnarkose. Zahnärzteblatt Baden-Württemberg 10, S. 28-31

„Die Karies im Milchzahngebiss stellt nach wie vor ein großes Problem in der zahnärztlichen Versorgung dar. Oftmals werden die kariösen Läsionen bei Kleinkindern zu spät erkannt und auch die Notwendigkeit einer Behandlung nicht immer zwingend gesehen. Wenn jedoch erst einmal Schmerzen auftreten, kann die Kinderbehandlung für die Zahnarztpraxis eine große Herausforderung darstellen, da diese Kinder meistens nicht unter normalen Umständen im Praxisalltag therapiert werden können.“

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Aufbau der Kinderzahnheilkunde in der Zahnärztlichen Poliklinik

von Dr. Dr. Simone Ulbricht, M.A.

Kinderzahnheilkunde als „Stiefkind“ der zahnärztlichen Poliklinik

Als ich 2008 an die Akademie kam, hatten wir neben den kieferorthopädisch betreuten jungen Patienten wenige Kinder in unserem Patientenstamm zu verzeichnen. Dementsprechend herrschte Unsicherheit im Umgang mit dieser Patientengruppe, wenn keine routinemäßige Durchsicht anstand, sondern Kinder mit Schmerzen oder gar mit einer Überweisung zur Vollnarkosesanierung kamen. Ein zeitgemäßes Behandlungskonzept fehlte -  neben der halbjährlichen Kontrolle und der Individualprophylaxe gab es noch die Füllungstherapie oder die Extraktion. Folglich wurden tief kariöse oder schmerzende Milchzähne meistens gezogen ohne sich über die weiteren Auswirkungen des Zahnverlusts (Beeinträchtigung der Stützzonen, Probleme bei der Gebiss- oder Sprachentwicklung, psychosoziale  Belange u.a.) Gedanken zu machen. Das Fachwissen um mögliche Therapieoptionen war nicht vorhanden und auch jegliches Behandlungsmaterial (Milchzahnkronen, Paste für Wurzelkanalfüllungen, Sofortplatzhalter u.a.) fehlte. Fortbildungskurse im Bereich Kinderzahnheilkunde wurden bis zu diesem Zeitpunkt an der Akademie nur sporadisch angeboten, so dass kaum fachlicher Input erfolgte. Das Bewusstsein für eine bessere Kinderzahnheilkunde war nicht vorhanden.

Erster Kinderkurs mit Frau Dr. Roloff im Juni 2013 (Quelle: Bildarchiv Akademie Karlsruhe)

Trainingsprogramm „Kinderzahnheilkunde“ als Schlüsselmoment

Doch dies sollte sich im Juni 2013 mit dem neuen Trainingsprogramm „Kinderzahnheilkunde in der Praxis“ unter der Leitung von Frau Dr. Tania Roloff aus Hamburg ändern. Sie hatte in den USA die Weiterbildung zur Kinderzahnärztin gemacht und betrieb seit vielen Jahren eine Praxis, die sich auf die Versorgung von Kindern spezialisiert ist. In diesen Kurseinheiten vermittelte sie das theoretische Fachwissen und ihre Erfahrung aus der alltäglichen Behandlung von (Klein-)Kindern auf sehr anschauliche Weise. Mir wurde bewusst, dass die Kinderzahnheilkunde anspruchsvoller und facettenreicher ist als ich es vermutet hatte und wie es damals während meines Studiums vermittelt wurde. Das von Frau Dr. Roloff entwickelte Praxiskonzept sowie das klinische Vorgehen hatten mein Interesse geweckt und so verließ ich die Kurse mit zahlreichen Ideen zur Etablierung einer modernen Kinderzahnheilkunde in unserer zahnärztlichen Poliklinik.

Zunächst einmal mussten neue Materialien bestellt werden, um eine kindergerechte aber auch nachhaltige Behandlung sicherzustellen. Dazu zählten beispielswiese ein nach Waldbeeren schmeckendes Oberflächenanästhetikum, damit die Kinder die lokale Anästhesie nicht mehr so intensiv erleben. Nachdem das Röntgen als unabdingbare Voraussetzung einer guten Diagnostik erkannt war, wurden kleine Mundfilme und Halter für besondere Zahnaufnahmen bestellt. Neben den silbernen Stahlkronen kamen auch die weißen Zirkoniakronen rasch zur Anwendung, um den ästhetischen Belangen gerecht zu werden. Kleine „Bambino“-Prothesenzähne wurden gekauft, damit wir von nun an auch den Kleinsten bei umfangreichem Zahnverlust wieder ein Lächeln mit festsitzendem oder herausnehmbarem Zahnersatz schenken konnten.

„Akademie-Pinguin“ als Logo für die Kinderprogramm der zahnärztlichen Poliklinik aus dem Jahr 2014 (eigenes Design durch Dr. S. Ulbricht)

Akademie-Pinguin

Aber nicht nur die zahnärztliche Behandlungsweise wurde neu überdacht, auch die Infrastruktur der Poliklinik musste auf die Bedürfnisse der Kinder abgestimmt werden. Ein Kinderanamnesebogen mit eigenem Logo, dem Akademie-Pinguin, war erst der Anfang. Beim Erstkontakt am Telefon wurde das Kind bereits anhand spezieller Fragen kategorisiert und ein entsprechender Termin vereinbart. Mein Behandlungsteam wurde von mir im Umgang mit Kindern geschult, so dass jeder Patient seitdem von der Begrüßung bis zur Verabschiedung ein strukturiertes Vorgehen durchläuft.

Gruppenbild mit den Inhaberinnen der „Zahnarztpraxis für Kinder“ in Hamburg (Dr. Roloff, Dr. Ulbricht, ZÄ Quick-Arntz und Frau Somers von links nach rechts) im September 2014 (Quelle: Bildarchiv Akademie Karlsruhe)

Hospitation bei Frau Dr. Roloff in Hamburg

Im September 2014 bot sich meiner zahnmedizinischen Fachassistenz Frau Somers und mir die Chance in der Kinderzahnarztpraxis von Frau Dr. Roloff eine Woche lang zu hospitieren. Dieses „Intensivtraining“ ermöglichte uns alle Bereiche der Kinderzahnheilkunde wirklich kennenzulernen. Neben dem Umgang mit den kleinen Patienten bzw. der dabei adäquaten Verhaltensführung konnten wir die Prophylaxeabteilung und insbesondere die Desensibilisierungsbehandlung, eine spielerische Heranführung von Kleinkindern oder ängstlichen Kindern an den zahnärztlichen Eingriff, hautnah mit erleben. Auch das Vorgehen in Lachgas oder gar Vollnarkose wurde an diesen Tagen ausgiebig praktiziert, so dass wir viele neue Impulse mit nach Karlsruhe nehmen konnten.

Frau Somers begrüßt den kleinen Patienten zusammen mit „Dino“ auf Augenhöhe (Quelle: Bildarchiv Akademie Karlsruhe)

Neue Strukturen für eine zeitgemäße Kinderzahnheilkunde

Natürlich ist zu bedenken, dass die Zahnärztliche Poliklinik allen Patienten eine Anlaufstelle für ihre Mundgesundheit bietet und wir zudem unsere Einrichtung auch zu Fortbildungszwecken nutzen. Daher ist es beispielsweise nicht möglich ein Bällebad im Wartezimmer zu integrieren, extra Behandlungsstühle für Kinder (sogenannte Pedoliegen) anzuschaffen oder Fernseher an der Decke mit Tom und Jerry in der Endlosschleife anzubringen. Die Herausforderung für mich bestand darin, ein praktikables Konzept Kinderzahnheilkunde für die bisher allgemeinzahnärztliche Praxis zu entwickeln und in den vorgegebenen Akademiealltag zu integrieren.

Dino und Leo

Natürlich ist für uns das oberste Ziel den Zahnarztbesuch für die kleinen Patienten so angenehm wie möglich zu gestalten. Der neu eingeführte Kinderanamnesebogen liefert uns beim ersten Kennenlerntermin nicht nur wichtige Informationen zu Erkrankungen, Ernährungsgewohnheiten oder häuslichen Zahnpflege, sondern erfragt auch Hobbies, Lieblingsfarben oder –tiere des Kindes, so dass schnell Vertrauen aufgebaut werden kann.

Unsere neu angeschafften Zahnputztiere „Dino“ und „Leo“ helfen uns darüber hinaus mit schüchternen Kindern in Interaktion zu treten, das zahnärztliche Vorgehen zu erklären oder auch Zahnputztechniken zu demonstrieren. Nach dem ersten Termin sollte für die Eltern und auch das Kind klar sein, was gemacht werden muss und wie der Weg dahin sein wird. Daher ist es wichtig sowohl die Zähne klinisch zu inspizieren und wenn eine Behandlung notwendig ist auch Röntgenbilder anzufertigen.

Zentraler Anspruch der Kinderzahnheilkunde ist: Jeder Milchzahn sollte (wenn überhaupt) nur einmal behandelt werden. Daher sind frühzeitige sowie regelmäßige zahnärztliche Kontrollen unerlässlich. Neben einer soliden klinischen Untersuchung (Karies, Zahnfarbe, Schwellung, Rötung, Fistel, Zahnbeweglichkeit in Abhängigkeit von Zahnwechsel, Zustand der Nachbarzähne) spielt die röntgenologische Diagnostik (Umfang der Karies, interradikuläre Aufhellungen, Resorptionen, Lage des Zahnkeims) für die vorausschauende Planung und für die erfolgreiche Therapie eine wichtige Rolle.

Vor allem der Mehrwert der Röntgenaufnahme zur Therapieentscheidung wurde erst durch die Kurse und die Hospitation bei Frau Dr. Roloff verdeutlicht.

Frau Somers bei der Desensibilisierungsbehandlung eines 3-Jährigen im Jahr 2016 Quelle: Bildarchiv Akademie Karlsruhe)

Einführung der Desensibilisierungsbehandlung

Die Desensibilisierungsbehandlung stellt ebenfalls eine wichtige Errungenschaft für die Zahnärztliche Poliklinik dar. Damit das Kind den Zahnarztbesuch spielerisch erlernen kann, bieten wir für junge Patienten, die noch nie eine Behandlung hatten oder auch für ängstliche Kinder, diese Sitzung an. Mit großem Geschick und viel Einfühlungsvermögen vermittelt Frau Somers wie es sich anfühlt, wenn sich unseren zahnärztlichen Instrumente im Kindermund bewegen, welche Geräusche sie machen und wie unsere kleinen Helfer alle heißen, die bei der Kariesbehandlung zum Einsatz kommen. Somit legt sie den Grundstein für eine erfolgreiche zahnärztliche Behandlung, so dass Kinder mit kleinem Kariesbefund  meist unter lokaler Betäubung saniert werden können.

„Die Karies im Milchzahngebiss stellt nach wie vor ein großes Problem in der zahnärztlichen Versorgung dar. Oftmals werden die kariösen Läsionen bei Kleinkindern zu spät erkannt und auch die Notwendigkeit einer Behandlung nicht immer zwingend gesehen. Wenn jedoch erst einmal Schmerzen auftreten, kann die Kinderbehandlung für die Zahnarztpraxis eine große Herausforderung darstellen, da diese Kinder meistens nicht unter normalen Umständen im Praxisalltag therapiert werden können.“

Ein eingespieltes Team (Dr. Lanz, Dr. Ulbricht und Frau Somers) - konzentriertes Zusammenarbeiten bei der Behandlung einer 3-Jährigen in Vollnarkose im Jahr 2015 (Quelle: Bildarchiv Akademie Karlsruhe)

Mit und ohne Lachgas und in Vollnarkose

Aber nicht immer gelingt es die Karies in einer „normalen Behandlung“ (mit oder ohne Lachgas) zu therapieren. Zu einer zeitgemäßen Kinderzahnheilkunde gehören auch die Eingriffe in Allgemeinanästhesie. Durch die langjährige Zusammenarbeit mit unserem kindererfahrenen Anästhesisten Dr. Georg Lanz konnte ich die Eingriffe in Vollnarkose deutlich ausbauen. Eine eigens dafür entworfene Narkosemappe informiert die Eltern umfassend über diese Behandlungsart und wird seitdem regelmäßig zum häuslichen Nachlesen mitgeben. Von nun an war auch die Behandlung von Kleinstkindern, die teilweise nicht älter als 2 Jahre waren und bereits einen großen Kariesbefund hatten, in der Zahnärztlichen Poliklinik gesichert.

Aufgrund meiner Workshops zum Thema Kinderzahnheilkunde im Rahmen der Karlsruher Konferenzen wurden die umliegenden Kollegen auf die Kinderbehandlung aufmerksam und begannen zahlreiche Patienten zu überweisen. Mittlerweile hat sich aufgrund des umfangreichen Behandlungsspektrums eine erfolgreich wachsende Überweisungsstruktur etabliert, die weit über die Stadt und den Landkreis Karlsruhe hinaus reicht.

Ausgangssituation bei einem kleinen Patienten (Quelle: Bildarchiv Akademie Karlsruhe)
Weiße Frontzahnkronen im Jahr 2014 (Quelle: Bildarchiv Akademie Karlsruhe)

Umfassende Therapieoptionen

Längst sind in der Zahnärztlichen Poliklinik die Füllung oder Zahnextraktion als alleinige Therapie im Milchgebiss Geschichte. Heute bieten wir unseren kleinen Patienten die komplette Bandbreite der modernen Kinderzahnheilkunde an. Mit Hilfe der Vitalamputation und Milchzahnkrone können auf einmal Zähne, die früher gezogen worden wären, erhalten bleiben.

Da die Füllungstherapie im Milchgebiss sehr schnell an ihre Grenzen stößt und bei nicht adäquaten Restaurationsdefekten das Risiko eines Füllungsverlustes oder einer Sekundärkaries besteht, stellt die konfektionierte Kinderkrone in vielen Fällen die einzige Möglichkeit zum Zahnerhalt dar.“

Bereits 2013 habe ich mich mit den neu auf den deutschen Markt aus Amerika eingeführten Zirkoniakronen auseinandergesetzt, um diese neben den konventionellen Stahlkronen anzubieten. Mit Hilfe dieser weißen konfektionierten Kronen gelingt beispielsweise die Versorgung umfassend zerstörter Oberkieferfrontzähne bei Nuckelflaschenkaries.

Auch bei frühzeitigem Zahnverlust kann unser Hauslabor inzwischen festsitzenden oder herausnehmbaren Zahnersatz anfertigen. Somit gelingt es auch die Jüngsten ästhetisch zu versorgen.

Fallplanung als Gruppenarbeit unter der Leitung von Frau Dr. Roloff und Frau Dr. Dr. Ulbricht im Kinder-Curriculum (Kurs Kind3) im Oktober 2018 (Quelle: Bildarchiv Akademie Karlsruhe)

Referententätigkeit

Seit 2014 bietet die Akademie ein komplettes Curriculum zum Thema Kinderzahnheilkunde an, in dem Frau Dr. Roloff nach wie vor eine Hauptrolle als Referentin einnimmt. Ein ausgewogenes Verhältnis aus praktischen und theoretischen Anteilen zeichnet diese Fortbildungsreihe aus. Auch der Ansatz des Continuing Professional Developments wird berücksichtigt LINK GUTACHTERTRAINING, indem die Teilnehmer ihre eigene Praxis analysieren, Handlungsroutinen reflektieren und verbessern. Dabei spielt der offene Erfahrungsaustausch unter den Kollegen eine wichtige Rolle. Nachdem ich die Kinderfortbildungen der Akademie seit 2013 in Theorie und Praxis als Teilnehmerin begleitet habe und parallel dazu meine Erfahrungen in der Patientenbehandlung sammeln konnte, bin ich seit 2016 auch Referentin im hauseigenen Kinder-Curriculum.

Mittlerweile besteht zu Frau Dr. Roloff ein sehr enger fachlicher und auch freundschaftlicher Kontakt, der über das Curriculum hinausreicht. So wie sie damals mein Interesse für die Kinderzahnheilkunde geweckt hat, möchte ich ebenfalls mit Vorträgen und Fachartikeln Zahnärzte und zahnmedizinisches Fachpersonal für die kleinen Patienten begeistern und ihnen ein Konzept für die allgemeinzahnärztliche Praxis nahebringen.

Resümierend kann die Zahnärztliche Poliklinik heute eine gut funktionierende Abteilung „Kinderzahnheilkunde“ vorweisen, die ihre kleinen Patienten willkommen heißt und sie im Idealfall über viele Jahre bis ins Erwachsenenalter begleitet. Seit dem Jahr 2018 bin ich leitende Zahnärztin. Ich freue mich und bin dankbar, dass die Akademieleitung den fachlichen Schwerpunkt der Kinderbehandlung und mein langjähriges Engagement mit dieser Position gewürdigt hat.

 

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