Die erste Kursbeschreibung der Strukturierten Fortbildung Karlsruher Aufbautraining zum Sachverständigen aus dem Jahr 1995/1996
„Der approbierte Zahnarzt gilt de jure als Sachverständiger, ohne dass er über die spezifischen Kenntnisse des Begutachtens verfügt. Das „Karlsruher Aufbautraining um Sachverständigen“ ist eine didaktische Kursreihe, die den Zahnarzt in die Technik des Begutachtens einführen soll. Ziel des „Karlsruher Aufbautraining zum Sachverständigen“ ist es, die Teilnehmer vom Zahnarzt zum Sachverständigen fortzubilden und die fachlichen Grundlagen für die sachverständige Beurteilung eines zahnärztlichen Behandlungsfalles zu vermitteln.“
Walther, Winfried (2017): Die Professionalisierung des Gutachters. Zahnärzteblatt Baden-Württemberg 8/9, S. 30-31
„Der erste Durchgang startete im Jahr 1996 und war damals die erste Initiative, erfahrenen Gutachtern sowie interessierten Kolleginnen und Kollegen ein strukturiertes Training zum zahnärztlichen Sachverständigen anzubieten. Diese Initiative hat bundesweit Schule gemacht.“
Bildergalerie zum Gutachtertraining (Quelle: Bildarchiv Akademie Karlsruhe)
Zur BildergalerieProfessor Winfried Walther erinnert sich in seinem Bericht im Zahnärzteblatt Baden-Württemberg zum zwanzigsten Durchgang des Curriculums an den Beginn dieser Fortbildungsreihe:
„Am Anfang stand die Feststellung von Michael Heners: „So geht es nicht weiter!“ Im Rahmen seiner Tätigkeit als Gerichts- und Obergutachter war er immer wieder mit gutachterlichen Bewertungen zahnärztlicher Leistungen konfrontiert, die seine Qualitätsansprüche nicht erfüllten.“
Dies war eigentlich retrospektiv betrachtet nicht weiter verwunderlich, da einerseits damals neben einer ausreichenden Berufserfahrung keine formale Qualifikation der Gutachter vorgesehen waren und andererseits bei der Begutachtung gerade andere Kompetenzen vom Zahnarzt in seiner Funktion als Gutachter gefordert sind. In den Vordergrund rückt nämlich nicht die praktische Tätigkeit sondern der Umgang mit dem geschriebenen Wort: „Der Gutachter muss mit dem geschriebenen Wort umgehen, das in Form der Gerichtsakte oder der Unterlagen für eine Bewertung im Auftrag von Krankenkasse und Kassenzahnärztlicher Vereinigung auf seinem Schreibtisch landet.“
Als Ziel des Aufbautrainings wurde damals in der ersten Kursbeschreibung im Kursprogramm 1995/96 ausgegeben:
„Der approbierte Zahnarzt gilt de jure als Sachverständiger, ohne dass er über die spezifischen Kenntnisse des Begutachtens verfügt. Das „Karlsruher Aufbautraining um Sachverständigen“ ist eine didaktische Kursreihe, die den Zahnarzt in die Technik des Begutachtens einführen soll. Ziel des „Karlsruher Aufbautraining zum Sachverständigen“ ist es, die Teilnehmer vom Zahnarzt zum Sachverständigen fortzubilden und die fachlichen Grundlagen für die sachverständige Beurteilung eines zahnärztlichen Behandlungsfalles zu vermitteln.“
In seinem Bericht präzisiert Professor Walther das Ziel der Professionalisierung des Gutachters. Er erklärt für den zahnärztlichen Berufsstand: Es ist „ein essenzielles Merkmal einer autonomen Profession wie der Zahnheilkunde, dass auch im Konfliktfall aus den eigenen Reihen der Sachverstand angeboten wird, mit dessen Hilfe der Fall gelöst oder zumindest entschieden werden kann.“
Das Gutachterverfahren bietet aber auch eine „Selbstversicherung der Profession hinsichtlich der für sie geltenden Regeln.“ Hierbei ist Transparenz bei den gutachterlichen Entscheidungsgründen zu fordern. Eine adäquate Begutachtung stärkt die Autonomie der Zahnärzteschaft und schafft Handlungssicherheit für die Betroffenen.
Der Sachverständige hat die schwierige Aufgabe „den individuellen Fall umfassend (zu) evaluieren und dann über den kausalen Zusammenhang zwischen den geklagten Beschwerden des Patienten und der Vorgehensweise des Zahnarztes (zu) entscheiden“. Wichtig ist dabei „eine breit gefächerte Wissensbasis einzusetzen, die sowohl die eigene Erfahrung, wie auch Regeln aus zahnmedizinischer Lehre und Wissenschaft umfasst.“
Ein Blick ins Kursprogramm 1995/1996 zeigt auch bereits den klaren didaktischen Aufbau der Kursserie. Das Modul 1 führt in die Kunst der Begutachtung ein: Gliederung eines Gutachtens, Definition der Begriffe Regel, Kunstfehler, Misserfolg und Komplikationen und Formulierungshilfen stehen auf dem Lehrplan. Ein praktisches Training mit Diskussion realer Fallbeispiele aus der täglichen Wirklichkeit rundet das erste Kurswochenende am 03. und 04. Mai 1996 ab. Die aktive Mitarbeit der Teilnehmer in kleinen Moderationsgruppen ist entscheidend für den Lernerfolg. Anschließend werden die Gruppenergebnisse im Plenum vorgestellt und die gutachterliche Synopse erfolgt unter Anleitung des Referenten. Die folgenden Module gliedern sich ähnlich. Zunächst erfolgt die Vorstellung der theoretischen Grundlagen durch den Referenten. Anschließend findet anhand beispielhafter Gerichtsfälle, die den Teilnehmern vorher anonymisiert zur Vorbereitung zugesandt werden, die Aufbereitung der Fälle unter Anleitung der ausgebildeten Moderatoren in Gruppen statt.
Die Referenten des ersten Durchganges waren Prof. Dr. Michael Heners, Karlsruhe, Priv.-Doz. Dr. Michael Noack, Berlin, Prof. Dr. Thomas Kerschbaum, Köln, Prof. Dr. Dr. Rolf Singer, Ludwigshafen und Prof. Dr. Gunnar Carlsson aus Göteborg. Unterstützung erhielten sie durch das Moderatorenteam bestehend aus Dr. Christoph Kaiser, Heiligenhaus, Dr. Ansgar Tuszynski, Lüneburg und Dr. Gerhard Wahl aus Stuttgart.
Dieses innovative Konzept hat sich bis zum heutigen Tage bewährt. Das Gutachtertraining ist bis heute Alleinstellungsmerkmal des Karlsruher Fortbildungsprogrammes. Ausführlich beschrieben wurde die Gutachterausbildung mit ihrem didaktischen Ansatz auch in der Fachzeitschrift ZWR – Das Deutsche Zahnärzteblatt (Brauer et al. 2009). Seit seiner Einführung wurde das Training dabei stets an geänderte Ansprüche und neue Entwicklungen angepasst. Neue Referenten kamen hinzu.
In seinem Bericht erwähnt Professor Walther auch die besondere Entwicklung, die „im Jahr 2005 einsetzte als das Gutachtertraining Bestandteil des Masterstudienganges „Integrated Dentistry“ wurde. Es entstanden seither mehrere Masterarbeiten und eine Dissertation, die sich wissenschaftlich mit verschiedenen Aspekten der Begutachtung und des Aufbaus des Gutachterwesens beschäftigten.“ Die entsprechenden Masterarbeiten sind in der Tabelle aufgelistet.
Masterarbeiten zum Thema Begutachtung und Gutachterverfahren |
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Brauer, Hans Ulrich (2007): Das zahnärztliche Gutachten im Zivilprozess. Konzeption einer Checkliste für das „gute“ zahnärztliche Sachverständigengutachten. Zusammenfassung der Masterarbeit |
Haase, Christian (2007): Retrospektive Studie zur Überprüfung der Wirksamkeit eines nach §§ 135, 136 SGBV eingeführten einrichtungsinternen Qualitätssicherungssystems im vertragszahnärztlichen Gutachterverfahren. Zusammenfassung der Masterarbeit |
Uhrig, Wolfram (2008): Die Qualität zahnärztlicher Sachverständigengutachten im Arzthaftungsprozess aus Sicht von Richtern in Baden-Württemberg. Zusammenfassung der Masterarbeit |
Klatt, Olga (2009): Praxis der Begutachtung in der Paradontologie: „offene“ versus „geschlossene“ Vorgehensweise. Zusammenfassung der Masterarbeit |
Stickel, Hagen (2009): Untersuchung zur qualitativen Zusammenarbeit beim Planungsgutachten zwischen Zahnarzt und Gutachter. Zusammenfassung der Masterarbeit |
Spukti, Martin (2009): Zum Schlichtungswesen der Zahnärztekammer Rheinland-Pfalz in den Jahren 2005 – 2009. Zusammenfassung der Masterarbeit |
Reiß, Wilhelm (2011): Wie erleben Zahnärzte die Situation der gerichtlichen Auseinandersetzung mit Patienten? Zusammenfassung der Masterarbeit |
Schaefer, Martina (2013): Das zahnärztliche Gutachten im Spiegel der Urteilsbegründung. Zusammenfassung der Masterarbeit |
Auch das Training selbst wurde anhand einer schriftlichen Befragung der Teilnehmer nachuntersucht. Die Kursreihe wurde als neues Fortbildungskonzept eingeführt. Dieses Konzept folgt Überlegungen aus der Erwachsenenbildung. Es folgt dem Reflexionsmodell. Die Gutachterreihe wurde als angewandtes Beispiel für Continuing Professional Development (CPD) identifiziert (Brauer et al. 2012). CPD ist nach Starke & Wade (2005) eine Strategie des lebenslangen Lernens mit dem Ziel der reflexiven professionellen Entwicklung. Diese Strategie wurde für die Zahnmedizin von Walther & Dick (2007) vorgestellt. Das Konzept beschreibt, dass CPD:
Anhand einer schriftlichen Befragung von 161 Absolventen des Karlsruher Gutachtertrainings aus den Jahren 2004-2009 wurde ermittelt (Brauer et al. 2012):
Zusammenfassend erreicht die Gutachterreihe das 1996 von Professor Heners ausgegebene Ziel, den Zahnarzt zum Gutachter fortzubilden. Es gibt zudem deutliche Hinweise, dass die Kursreihe auch den umfassenderen Anspruch im Sinne des CPD erfüllt (Brauer et al. 2012).
Zitierte Literatur |
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Brauer, Hans Ulrich; Dick, Michael; Walther, Winfried (2009): Karlsruher Aufbautraining zum zahnärztlichen Sachverständigen - Ein Fortbildungskonzept zur reflexiven professionellen Entwicklung. ZWR 118: 246-252 |
Brauer, Hans Ulrich; Riesen, Christa; Dick, Michael (2016): Das Sachverständigengutachten als Verfahren zur Konfliktbearbeitung in der Arzt-Patientenbeziehung. In: Handbuch Professionsentwicklung. Herausgeber: Miachel Dick; Harald Mieg; Winfried Marotzki. UTB / Klinkhardt |
Brauer, Hans Ulrich; Walther, Winfried; Riesen, Christa; Dick, Michael (2012): Training for legal dental expert witnesses in Germany - an instrument for professional development. J Dent Educ 76: 656-660 |
Starke, Ian; Wade, William (2005): Continuing Professional Development – Supporting the delivery of quality healthcare. Annals Academy of Medicine Singapore 34 (11), 714-719 |
Walther, Winfried; Dick, Michael (2007): Continuing Professional Development (CPD): Strategien für lebenslanges Lernen. Zahnärztliche Mitteilungen 97 (16), 74-78 |