Zahnärztliche Akademie

Zeitzeugen

1960-2000

Die Quellen:

Dr. Rüdiger Engel zu Besuch in der Zahnärztlichen Akademie

von Dr. Dr. Hans Ulrich Brauer, M.A.
Dr. Rüdiger Engel blättert in der Dissertation seines Vaters Prof. Dr. Walther Engel (Quelle: Bildarchiv Akademie Karlsruhe)

Im Gespräch mit Dr. Rüdiger Engel

Dr. Rüdiger Engel hat die Doktorarbeit seines Vaters, Institutsdirektor Prof. Dr. Walther Engel, mitgebracht. Mit im Gepäck hat er aber auch gleich mehrere private Fotoalben und eine ganze Reihe alter Schriftstücke. Dr. Engel blättert in der Doktorarbeit seines Vaters. Er zeigt dort die verwendeten Messgeräte. Er erläutert:

„Das Gerät hier sollte die Oberflächenspannung bzw. elektrische Durchlässigkeit der Haut messen und die Haut wurde wiederum einzelnen Körperpartien zugeordnet. Die haben an der Uni Heidelberg viel daran gearbeitet und mein Vater hat das akribisch aufgearbeitet: Es ist allerdings nicht reproduzierbar.“

„Das ist die Frau Voormann, die hat meinem Vater meistens assistiert.“ (Quelle: Aus dem Fotoalbum von Dr. Rüdiger Engel)
Dr. Sandhaus aus Lausanne war unter den frühen Referenten zur Implantologie (Quelle: Bildarchiv Akademie Karlsruhe)

Frühe Implantologie

Dr. Rüdiger Engel: Ich habe 1966 Abitur und 1971 Examen gemacht. Mein Vater war gesellig und hat die Referenten immer abends eingeladen. Die meisten Kurse waren den ganzen Freitag und Samstagvormittag. So wie heute auch. Und da ist er in der Regel am Freitagabend mit denen essen gegangen. Und ich war in Ausnahmefällen dabei, und ein Ausnahmefall war der Dr. Sandhaus, der war Implantologe aus der Schweiz. Er war einer der Lehrer, die mein Vater in der zweiten Hälfte der 60er Jahre als Referent eingeladen hat. Auch Professor Pruin und Dr. Heinrich wurden eingeladen. Das waren Implantologen in Deutschland. Und das war damals sehr umstritten. Ich erinnere mich, in den 60er Jahren, da war ich noch Zahnmedizinstudent, dass meine Mutter schwer geklagt hat: „Der Papa, der macht was ganz Schlimmes, das macht ihm noch Schwierigkeiten, lädt solche Leute ein. Alle sind gegen die Implantologie und alle sagen nur um Gottes willen.“

Akademie: Wie ging es weiter?

Dr. Rüdiger Engel: Der Dr. Sandhaus hat mir angeboten, dass ich bei ihm in Lausanne Assistent werden kann. Ich bin dann nach dem Staatsexamen nach Lausanne gezogen. Zwei Jahre war ich dort Assistent. Es war hochinteressant, aber anfangs sehr aufregend, denn ich kam direkt von der Uni und in eine anspruchsvolle Praxis. Ich war im humanistischen Gymnasium in Karlsruhe groß geworden, ohne Französisch-Unterricht. Das macht gar nichts, hat Samy Sandhaus gesagt, bei mir spricht jeder deutsch und da bin ich mit meiner Frau hin und wir haben festgestellt, da spricht kaum jemand deutsch. Der Dr. Sandhaus hatte CBS-Implantate, das sind Aluminiumoxidkeramiken, und das war schon gut. Es hat sich später als erfolgreich erwiesen, Implantatfortbildungen zu machen. Dann kamen die Implantate weniger in Verruf. Professor Schulte hat das Tübinger Sofortimplantat gebracht und auch hier am Institut viele Kurse gegeben.

Im Gruppenbild in der ersten Reihe, von links nach rechts, sitzend: Alexander Gutowski, Peter Thomas, Walther Engel und Axel Bauer. In der dritten Reihe Mitte ist mit Bart und Brille auch Rüdiger Engel zu sehen. (Quelle: Aus dem Fotoalbum von Rüdiger Engel)

Die Ära der Gnathologie

Dr. Rüdiger Engel: Es gab noch einen zweiten Renner in der Fortbildung. Dort gab es noch mehr Nachfrage. Das war die Gnathologie. Da war z.B. der Peter Thomas und Charles Stuart aus den USA. Die beiden brachten die Stuart-Artikulatoren. Dann der Wippmix, das war der gängigste, der war nicht so aufwändig. Dr. Schulz-Bongart aus Düsseldorf, der hat uns das beigebracht. Und dann gab es noch den Dentatus von Dr. Arne Lauritzen, ein Däne, der in den USA tätig war. Das Prinzip, ich muss es hier kurz erklären, sonst verstehen Sie nicht, wie die Leute bei uns 10 Jahre geschwitzt haben: Rearmost, midmost und upmost. Die kennen Sie, die drei Ausdrücke?

Akademie: Ja.

Dr. Rüdiger Engel: Der Dr. Lauritzen hat immer gesagt: „Wichtig ist, die Kopfstütze an der Behandlungseinheit ist zu beweglich, besser Sie nehmen einen Stuhl und setzen den Patienten an die Wand, dann wird nach hinten gedrückt und dann haben sie rearmost.“ Der Dr. Lauritzen hat den Dentatus-Artikulator entwickelt, das war so ein Mittelding. Der Stuart-Artikulator, da wurde jede Kurve mechanisch registriert. Das war grauenvoll. Und der Dentatus war ein Mittelding und der Wippmix war ziemlich einfach. Da wurde die Zentrik gemacht und die Vorschubbewegung. Dann gab es noch einen Schweizer, dessen Namen ich gerade vergessen habe, der hat auch einen Artikulator gehabt, der hat ein Pfeilwinkelregistrat gemacht.

Akademie: Gysi.

Dr. Rüdiger Engel: Ja genau, Gysi und der hat auch einen Artikulator entwickelt, der war sehr zukunftsorientiert, weil da die habituelle Okklusion und Longzentrik angesprochen wurde.

Akademie: Wie ist denn Ihr Vater an die Referenten rangekommen? Das sind ja alles sehr bekannte Namen. Hat man die angeschrieben oder hatten die sich selber gemeldet?

Dr. Rüdiger Engel: Der Herr Bauer und Herr Gutowski, das waren zwei sehr bekannte gnathologisch tätige Zahnärzte in Deutschland und die waren Vertreter von Charles Stuart und Peter Thomas. Die beiden haben die wiederum angesprochen. Der Peter Thomas, der war hier dann Stammgast. Und bei der Implantologie, da war aus dem Ausland der Dr. Sandhaus, und den hat mein Vater über Veröffentlichungen, wohl in Schweizerischen Zeitschriften, angeschrieben und der kam mit großer Begeisterung hier an. Der Dr. Sandhaus hielt Kurse bei sich in der Praxis in der Schweiz, für die ich als Anfänger später organisatorisch zuständig war. Er hielt Kurse in Frankreich, Südamerika, speziell in Brasilien, und auch in Spanien.

Dienst am Fortbildungsinstitut

Dr. Rüdiger Engel: Nachdem ich zwei Jahre in Lausanne war, hat mein Vater Wert daraufgelegt, dass ich hierherkomme und da war ich in seiner Praxis.

Akademie: Das war in Karlsruhe in der Bunsenstraße?

Dr. Rüdiger Engel: Ja, in der Bunsenstraße 18. Und hier am Institut war ich am Dienstagvormittag, freitags und samstags.

Akademie: Freitag und Samstag hieß dann bei Kursen?

Dr. Rüdiger Engel: Freitag und Samstag war Kursbetreuung, wobei freitagmorgens teilweise auch Chirurgie war. Ich war angestellt für Überweisungen. Das muss man sich so vorstellen, damals gab es keine Oralchirurgen, und MKG-Chirurgen gab es ganz wenige. Und es gab natürlich auch viele ehemalige Dentisten als Überweiser, die in der Chirurgie nicht ganz so fit waren. Die haben sehr viele chirurgische Fälle, verlagerte Weisheitszähne und Wurzelspitzenresektionen, das war die Hauptarbeit, hierher überwiesen und das hat mein Vater gemacht. Dann hat er zu mir gesagt, das solle ich von ihm übernehmen, was ich nach der notwendigen Einarbeitung auch gerne tat. Ich wurde also oft ins kalte Wasser geworfen. Aber ich habe es gelernt und habe es auch gern gemacht. Der Dienstagmorgen war recht anstrengend, da kam ein Fall nach dem anderen, Wurzelspitzenresektion und verlagerte Weisheitszähne.

Akademie: Wie war das, als Sie Zahnarzt am Institut waren – wann ging es morgens los?

Dr. Rüdiger Engel: Um 8 Uhr ging es morgens los. Die Anzahl der Assistenten war drei oder vier. Ich habe mich gut mit denen verstanden. In dem letzten Jahr meiner Tätigkeit hat mich mein Vater zum stellvertretenden Direktor bestimmt. Ich war zwar pro forma Vorgesetzter der anderen, aber das war ich nicht, wir haben uns gut verstanden. Es war auch mal einer da, mit dem hatte ich in Mainz zusammen studiert, der Herr Krebs, der hat sich später in Alzey niedergelassen. Der wurde dann auch später Präsident der Landeszahnärztekammer Rheinland-Pfalz.

Akademie: Was waren die Aufgaben als Zahnarzt in der Akademie, hatte man Kursdienste?

Dr. Rüdiger Engel: Ja, das habe ich häufig gemacht. Wir hatten ja zu meiner Anfangszeit Diaprojektion. Ich glaube, der Prof. Schüle, der war der Gefürchtetste. Der hatte immer viele Dias und unsortiert. Und dann kam ja die „Fernsehübertragung“ auf. Das war ja auch eine tolle Innovation. Ich hatte mich da eingearbeitet und da hatte ich Samstagmorgen frei und da bin ich mit meiner Frau in der Stadt gewesen und bin kurz in die Akademie rein und da traf ich den Professor Schulte ganz aufgeregt: „Kommen Sie schnell rein, es klappt nicht.“ Und später sagt der Schulte „Gott sei Dank sind Sie gekommen.“ (lacht) Nach dem Motto, ich müsste jetzt immer da sein.

Prof. Dr. Walther Engel bekommt das Bundesverdienstkreuz verliehen. Im Hintergrund ist auch Dr. Rüdiger Engel zu sehen. (Quelle: Aus dem Fotoalbum von Dr. Rüdiger Engel)

Der Professorentitel und das Bundesverdienstkreuz

Akademie: Das mit dem Zahnmedizinstudium und der Doktorarbeit das war Prof. Engel offenbar wichtig. Das hätte er ja nicht machen müssen, er war ja automatisch als Dentist später Zahnarzt und ohnehin schon Direktor des Institutes.

Dr. Rüdiger Engel: Ihm war klar, dass das „Dentistendasein“ beendet war und er wollte auch einer von den studierten Zahnärzten sein. Er ist außerordentlich ehrgeizig gewesen. Und er war sehr stolz und glücklich gewesen, als er den Professorentitel verliehen bekommen hat. Der ist ja verliehen worden. Ich weiß gar nicht, ob es das heute noch gibt. Das hat ihm verliehen der Filbinger, und das Bundesverdienstkreuz hat ihm der Lothar Späth verliehen. Ich muss natürlich sagen, das war natürlich auch nicht einfach mit den Hochschullehrern. Da waren zwar auch ein paar niedergelassene Zahnärzte, der Herr Gutowski und der Herr Schulz-Bongert, aber es waren überwiegend Hochschullehrer, wenn man da so als einfacher Zahnarzt dabei war. Und er hatte dann wenigstens eine verkürzte Hochschullaufbahn.

Der neue Hausherr: Prof. Dr. Michael Heners führt Gäste durch die neue Poliklinik am 27. März 1981 Quelle: Aus dem Fotoalbum von Dr. Rüdiger Engel)

Wer wird sein Nachfolger?

Akademie: Hat denn Ihr Vater gehofft, dass Sie seine Nachfolge antreten?

Dr. Rüdiger Engel: Er hat mich gefragt: „Sag mal, willst Du das nicht machen?“ Ich habe das so verstanden nach dem Motto, ich bin dir schuldig, dass ich das dich mal frag. Ich habe ihm geantwortet: „Ich kann hier keine Leitung übernehmen, wenn ich hier hauptamtlich mit Hochschullehrern zu tun habe. Da muss ein Direktor her, der eine Venia Legendi hat, eine Hochschullaufbahn hinter sich hat, alles andere ist ausgeschlossen.“ Das Thema war dann erledigt. Er hörte sich aber um, wer denn sein Nachfolger werden könnte und von mir, aber auch von anderen, da fiel der Name Michael Heners. Er war Assistent von Professor Körber, Kiel. Heners hatte in Freiburg studiert, Professor Körber ging nach Kiel und Heners ging als Assistent mit. Und Professor Körber hat wiederum hier Kurse gehalten. Heners war als sein Assistent dabei und hat Kursteile übernommen, und das war toll. Das war ein ganz junger Kerl, rhetorisch brillant und ideenreich. Das fand ich toll und das ging vielen so. Da hat er mit verschiedenen Leuten diskutiert, wer könnte, und da gab es auch Bewerbungen. Dann kam aber der Vorschlag von meinem Vater: Heners.

Akademie: Gut.

Dr. Rüdiger Engel: Und interessant, der Herr Professor Heners war dann später, besonders, als mein Vater dann im Ruhestand war, auch häufig in Baden-Baden und hat meine Eltern besucht, bevor er verheiratet war.

Akademie: Warum hat es das gemacht?

Dr. Rüdiger Engel: Ich hatte den Eindruck, dass die sich zwar um die Sache gestritten haben, aber wenn sie das Haus verlassen hatten, dann war es wieder gut. Anders kann ich es mir nicht vorstellen. Der fühlte sich wohl in Baden-Baden, saß da auf dem Sofa und hat Kaffee getrunken. Er fühlte sich schon auch als Familienangehöriger. Das war ein Verhältnis, das kann ich nicht so empfinden. Jedenfalls war die Wahl sicherlich gut, dass er sich für Professor Heners entschieden hat und er auch dann genommen wurde. Er hat den Laden ja wirklich gut nach vorne gebracht.

Akademie: Wie soll ich das verstehen?

Dr. Rüdiger Engel: Gut weiterentwickelt. Die Akademie war ja erfolgreich und er ist auf dem Weg weitergegangen. Also es gab keine Krise und er hat es wieder rausgerissen, so war es nicht. Die Zusammenarbeit mit Professor Heners im Verwaltungsrat war sehr gut, dynamisch, sehr vernünftig, und er hat den Laden sehr gut im Griff gehabt. Ich wurde dann nach vier Jahren Präsident der Landeszahnärztekammer und die Akademie ist ja eine Einrichtung der Landeszahnärztekammer, also jetzt mit Anführungszeichen, sie untersteht der Landeszahnärztekammer. Ein Gedankengang, den der Professor Heners nicht gerne hatte.

In der ersten Reihe von links nach rechts: Prof. Dr. Walther Engel, Kurt Matheis und Prof. Dr. Michael Heners (Quelle: Aus dem Fotoalbum von Dr. Rüdiger Engel)

Eine Walther-Engel-Akademie?

Dr. Rüdiger Engel: Betreffend Akademie für Zahnärztliche Fortbildung, der Herr Kurt Matheis, der hatte die Idee, dass man sie Walther-Engel-Akademie nennt. Was mein Vater großartig fand, das hätte er gerne gehabt. Da gab es dann doch erhebliche Gegenstimmen. Was ich persönlich auch nicht so eine gute Idee fand. Akademie für Zahnärztliche Fortbildung - das ist inhaltlich was. Mein Vater hat aber noch mitgekriegt, dass ein Walther-Engel-Preis kreiert wurde als Gedenken. Die Vorbereitungen hat er mitbekommen, das kam erst nach seinem Tod. Aber das fand er nicht so eine schöne Entschädigung für die Walther-Engel-Akademie. Also, ich finde es gut so, wie es gelaufen ist.

 

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