Zahnärztliche Akademie

Zeitzeugen

1949-1950

Die Quellen:

Handschriftliche Notizen von Herrn Grein zur Vorbereitung des Interviews

„Einmal in der Woche mussten wir Dentistenpraktikanten in die Fachschule, die sich auch im Gebäude der Sophienstraße befand, dem Lehrinstitut der Dentisten, angeblich dem Besten in Deutschland.”

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Die dentistische Ausbildung am Lehrinstitut 1949/1950 – Interview mit Karl Heinz Grein

von Dr. Dr. Hans Ulrich Brauer, M.A.
Herr Karl Heinz Grein beim Interview (Quelle: Bildarchiv Akademie Karlsruhe)

Einleitung

Auf das Interview hat sich Zahnarzt Karl Heinz Grein (Jahrgang 1927) akribisch vorbereitet. Mehrere Blätter voll mit handschriftlichen Notizen hat er mitgebracht. Er ist ein fröhlicher älterer Herr und erzählt sehr gerne Geschichten. Man merkt ihm sofort an, dass ihn sein Beruf erfüllt hat. Er bastelt noch heute gerne und legt Wert auf sein handwerkliches Geschick. 42 Jahre war er in eigener Praxis tätig. Alles begann 1941/42, als er mit 14 Jahren die Lehre zum Dentistenpraktikanten bei Herrn Karl König in der Kaiserstraße antrat. In badischem Dialekt erzählt er:

„Einmal in der Woche mussten wir Dentistenpraktikanten in die Fachschule, die sich auch im Gebäude der Sophienstraße befand, dem Lehrinstitut der Dentisten, angeblich dem besten in Deutschland.“

 

Frühe Lehrjahre und Ausbildung zum staatlich geprüften Dentisten

Eine Katze miaut im Hintergrund und wird sogleich aus dem warmen Wohnzimmer gelassen. Herr Grein erzählt, dass Herr Emil Kimmich, der Direktor des Lehrinstituts, ein Patriarch gewesen sei. Sein Lehrherr, Karl König, sei dagegen ein angenehmer Mann gewesen. Er berichtet, dass in der Dentistenfachschule auch das Fach Buchführung unterrichtet wurde, was sich später in der Praxis als sehr nützlich erwies. 1944 wurde er zum Reichsarbeitsdienst und in die Wehrmacht eingezogen. Nach dem Krieg konnte er seine Lehre als einer der Jüngsten fortsetzen. Seine Arbeitsplätze während der Ausbildungszeit führten ihn auch zu Walther Engel, dem späteren Direktor des Instituts. Er erinnert sich, dass die Dentistenpraktikanten-Ausbildung 3 Jahre ging. Damals war das Lehrinstitut in der Sophienstraße gewesen. Dann sei man zunächst 2 Jahre als Dentistenassistent tätig gewesen. Die 2-semestrige Ausbildung zum staatlich geprüften Dentisten hat er am Karlsruher Institut von 1949 bis 1950 absolviert. Die Arbeitswoche am Institut ging damals von Montag bis Freitag - wie wir im Interview gleich lesen.

 

Einer der Jüngsten im Semester

Akademie: Wie ist das so abgelaufen am Institut, da war man von Montag bis Freitag?

Herr Grein: Ja, da war man dann praktisch nur am Institut, also da war nix nebenbei noch. Man war nur am Institut, und da hat man dann natürlich die entsprechenden Fächer gehabt. Was vielleicht noch, ja und dann musste man ja am Patienten arbeiten. Da war ein großer Saal, wo da ihre Operationsstühle gestanden haben. Und man musste natürlich schauen, dass man einen Patienten hat und dann hatte ich dann eine Patientin gehabt, wo man dann gearbeitet hat, Füllungen gemacht hat usw. Was ich noch hervorheben muss, ist, dass wir, was wir nicht gelernt haben, war extrahieren und chirurgische Eingriffe, das haben wir nicht praktiziert. Das musste man dann nachher in der Praxis sich selber erwerben. Da habe ich aber dann das Glück gehabt, dass ich nach Neustadt an der Weinstraße in eine alte Praxis gekommen bin. Das können Sie sich gar nicht vorstellen, wie das war. Die haben noch einen Stuhl gehabt von 1901, der war schon sovielmal gestrichen, dass, wenn irgendwas war, den konnte man nicht umlegen, gar nichts und so, sterilisiert worden ist überhaupt nichts. Die Instrumente sind abgewaschen und dann sind die 20 Minuten in Sagrotan eingelegt worden und das war es dann. Da muss man sich wundern, dass die Leute heute noch leben (lacht), aber die leben ja heut nimmer (lacht), dass die das überlebt haben. Wenn man das vom heutigen Standpunkt aus betrachtet, gell, was für strenge Vorschriften das sind. Ich habe ja eine Nachfolgerin, die meine Praxis übernommen hat. Und wenn ich dann von denen höre, was da heute alles verlangt wird, achgottachgott.

Akademie: Wie sahen denn die Räumlichkeiten aus?

Herr Grein: Also da war zunächst einmal der große Saal, außer dem großen Saal war nochmal ein kleinerer Raum. Und in dem großen Saal, da wurden dann eben die Behandlungen durchgeführt, da haben wir dann eben Füllungen gemacht und, wie gesagt, extrahiert haben wir nicht. Das ist dann dem Herrn Engel überlassen gewesen. Der war ja dann später der große Chirurg.

Akademie: Und hat man da vom ersten Tag an Patienten gehabt? Oder gab es da erst noch Vorlesungen oder Übungen am Modell?

Herr Grein: Das weiß ich jetzt nicht mehr ganz genau, doch, doch, ich weiß es. Zuerst haben wir an, wie sagt man, Gipsköpfen, an Phantomköpfen, im ersten Semester an Phantomköpfen gearbeitet. Das ist richtig so. Und das Unterrichtsfach war dann noch allgemeine Anatomie und spezielle Anatomie. Spezielle Anatomie des Kopfes und Röntgenkunde.

Akademie: Und wie viele Kollegen hatte man da in der Ausbildung? Wie viele Leute waren da noch?

Herr Grein: Ich schätze, das waren so 40, 45 gewesen. Und röntgen, der Mann für das Röntgen, das war der Herr Dr. Dummer. Der hat uns das Röntgen beigebracht.

Akademie: Und war das ein Netter oder Strenger?

Herr Grein: Also das war ein sehr umgänglicher Mann. Und für die Behandlung war der Herr Neumann zuständig, das war ein sehr guter Lehrer, wenn man das so sagen kann.

Akademie: Ich stelle mir das früher immer so streng vor, war das so oder gab es da auch lustige Sachen?

Herr Grein: Das war schon auch leger, also wir unter uns, das war schon kameradschaftlich, kann man sagen, das war schon sehr angenehm. Da war ja auch, zum Teil, bisschen ältere Leute auch mit dabei, die längere Zeit im Krieg dabei waren oder in russischer Gefangenschaft waren, die dann rechtzeitig noch entlassen worden sind, (unverständlich), eine durcheinander-gewirbelte Gesellschaft. Ich war vielleicht einer der, ja, Jüngsten oder der Jüngeren.

Akademie: Und Sie hatten sich damals auch nur für die Ausbildung am Institut in Karlsruhe beworben?

Herr Grein: Jaja, das Karlsruher Lehrinstitut soll ja das beste in Deutschland gewesen sein, und das nächstbeste soll in Hamburg gewesen sein, hat man mir so gesagt, wahrscheinlich hat es sogar gestimmt.

 

Der Direktor Emil Kimmich

Akademie: Vorhin haben Sie schon mit einem Satz gesagt, der Herr Kimmich sei eher so ein Patriarch gewesen?

Herr Grein: Jaja, der war sehr streng, das war ein richtiger Patriarch, gell.

Akademie: Fällt Ihnen da noch eine Geschichte ein zu dem Herrn Kimmich?

Herr Grein: Ja, da fällt mir noch eine Geschichte ein. Wir hatten Röntgenkunde und bei der Röntgenkunde, da war es immer dunkel. Und das war so mittags, und draußen war so schönes Wetter. Und ich hatte da einen Freund neben mir, der sagte zu mir: „Karl Heinz, gehst Du mit ins Schwimmbad, wir gehen, hauen ab und gehen ins Schwimmbad?“ Und dann habe ich gesagt: „Oh, Werner, ich habe jetzt keine Lust.“ Und mein Werner schleicht so raus, ums Eck rum, und es macht bums, da ist grad der Herr Kimmich reingekommen (lacht) und dem ist er so richtig in den Bauch gestoßen. Und der sagt: „Ja, was ist denn mit Ihnen?“ Und der Werner war clever und hat gleich gesagt: „Mir ist soooo schlecht“ (lacht). Sie müssen entschuldigen, ich spreche immer Karlsruher Badisch, ich habe auch in meiner Praxis mit den Patienten in meinem Dialekt gesprochen und da hatte ich eine Patientin, die war aus Hannover, und die habe ich jahrelang behandelt, und wie die dann wieder weggegangen sind, da hat sie zu mir gesagt: „Herr Grein, jetzt muss ich Ihnen mal was sagen, alles was Sie mir erzählt haben, ich habe nie was verstanden.“ Ach da können Sie mal sehen, wie groß das Vertrauen in sie sein kann (lacht). Und für die Karlsruher Leute war das natürlich sehr angenehm, wenn man nicht so vom hohen Ross war.

 

Der Lehrer Neumann und der junge Walther Engel

Akademie: Gab es denn neben dem Herrn Kimmich am Institut noch Leute, die da wichtig waren?

Herr Grein: Ja, da gab es noch Assistenten, die auch Unterricht gegeben haben, aber die Namen fallen mir jetzt nicht mehr ein. Also wie gesagt, der Neumann und der Engel, haben beide Vorlesungen gegeben.

Akademie: Und der Herr Engel war dann vom Typ her ähnlich gewesen wie der Herr Kimmich?

Herr Grein: Nein, nein, der war vom Typ her viel legerer gewesen, bei dem habe ich ja dann auch ein Jahr gearbeitet, also im Labor, als Dentistenassistent, bevor ich dann die Staatsprüfung dann gemacht habe. Der war an für sich sehr angenehm und hatte auch eine sehr nette Frau gehabt. Und eben sein Sohn, den Sie vielleicht auch kennengelernt haben. Doch, der war angenehm. Ja und die waren im Krieg ja zu Hause, der Neumann und der Engel. Die waren nicht eingezogen, die waren nicht Soldat, die waren zu Hause. Und ich bin ja noch Soldat gewesen, und wie ich dann so, irgendwie hatte ich dann mal Schwierigkeiten gehabt mit dem Engel, dann habe ich gesagt zu ihm: „Hören Sie mal, ich will ihnen mal was sagen, ich habe jetzt da draußen ein Jahr den Kopf hinhalten müssen, wo Ihr daheim gewesen seid.“ Da hat er aber dann geschaut, aber hat dann nichts gesagt dann, gell. Aber ich bin sehr gut mit ihm ausgekommen, es war ein guter Mann.

 

20 Prozent weniger Honorar für die gleichen Leistungen

Akademie: Sie haben am Anfang einen Satz noch gesagt, dass das am Anfang mit den Zahnärzten und Dentisten schwierig war, habe ich dies richtig rausgehört?

Herr Grein: Ja, also das Verhältnis war ein bisschen gestört. Die Akademiker haben uns natürlich so von oben runter angeschaut, wir sind ja auch nur so Schmalspurakademiker gewesen, praktisch. Was eben war, wir bekamen nur 80 Prozent bezahlt von den Krankenkassen für die gleichen Leistungen, die die akademischen Kollegen gemacht haben. Und, aber 1953 ist das dann geändert worden und dann sind wir gleichgestellt worden.

Akademie: Ja, bzw. Sie mussten da noch einen Kurs machen?

Herr Grein: Jaja, das schon, aber das musste man nur anhören, was die da erzählt haben. Keine Prüfung, ohne alles.

Akademie: Das musste man nur absitzen?

Herr Grein: Jaja.

Akademie: Und das war auch am Institut?

Herr Grein: Ja, das war am Institut.

Akademie: Und das haben vermutlich auch alle gemacht?

Herr Grein: Ja, das haben alle gemacht, das mussten alle machen. Aber wie gesagt, da war keine Prüfung, das war reine Formsache.

Akademie: Also, Sie haben sich damals geärgert, dass Sie weniger Geld für die gleiche Leistung bekommen haben. Aber hatten Sie denn auch das Gefühl, schlechter ausgebildet zu sein, oder vielleicht sogar das Gegenteil, dass sie besser ausgebildet waren?

Herr Grein: So haben wir uns gefühlt, also vom Handwerklichen her ist ja unser Beruf, wie soll ich sagen, vom Handwerklichen her musste man recht gut sein, also zwei linke Hände durfte man nicht haben, sonst hat das Ganze nicht funktioniert. Deshalb haben wir uns eigentlich etwas überlegen gefühlt, weil wir ja schon alles in der Fachschule gelernt haben, das Handwerkliche. Und, wie gesagt, das Operative musste man sich dann selbst beibringen. Und da habe ich das Glück gehabt, dass ich nach Neustadt gekommen bin, an die Weinstraße, das war eine ganz alte Praxis, und die hatten ja da noch ganz uralte Stühle, die man nicht umlegen konnte und mit so Bohrschläuchen dann dran, wie man sie im Labor hatte. Das war primitiv, aber ich hatte da gern gearbeitet, eigentlich hat es mir da gut gefallen. Und da habe ich dann das Extrahieren gelernt. Vor mir war da eine Kollegin, die konnte keine Zähne ziehen, die hat alles abgerissen und die Wurzeln waren noch drin. Da habe ich ein ganzes Jahr, fast bei jedem Patienten, der gekommen ist, musste ich dann die Wurzeln extrahieren. Das Einzige, was die dann gehabt haben, war ein Beinscher Hebel. Mit dem habe ich alles rausoperiert, also da habe ich dann das Operieren gelernt.

 

Spezielle Anatomie musste man perfekt können

Akademie: Gab es denn spezielle Bücher für die Ausbildung, gab es da Standardwerke?

Herr Grein: Nein, der Neumann hat ein Buch geschrieben gehabt über spezielle Anatomie und das haben wir benutzt, und der war auch ziemlich streng, der Neumann, da musste man alles, die spezielle Anatomie perfekt können. Dann gab es noch die allgemeine Anatomie und die hat der Herr, das weiß ich jetzt gar nicht mehr, wie der geheißen hat. Ein Arzt von (überlegt lange), vom, ein Arzt halt, gehalten, die allgemeine Anatomie.

Jeder, der mit Medizin zu tun hat, wird an dieser Stelle Herrn Grein beipflichten, dass das Erlernen der Anatomie mühsam ist. Herr Grein zeigt uns ein Foto von Direktor Emil Kimmich.

Zu sehen ist das Semester 1949-1950 im Hof der Sophienstraße. Der 92-jährige Herr Grein deutet auf den jungen Herrn Grein
Zu sehen ist auf dem Foto das Semester 1949-1950 im Hof der Sophienstraße. Der 92-jährige Herr Grein deutet auf den jungen Herrn Grein (Quelle: Bildarchiv Akademie Karlsruhe)
Direktor Emil Kimmich, Gründer des Karlsruher Lehrinstitutes (Quelle: Aus dem Fotoalbum von Herrn Grein)

Ein Porträt von Emil Kimmich

Herr Grein: Da sieht der Herr Kimmich freundlich aus, aber so freundlich war er nicht, wie er ausgesehen hat.

Akademie: Aber letztendlich haben wir ihm ja schon zu verdanken, dass das Institut gegründet wurde.

Herr Grein: Ja natürlich (Pause), ja, das war schon ein guter Mann.

Akademie: Und mit der Einführung der staatlichen Prüfung hatte er zu tun.

Herr Grein: Jaja, das war schon ein guter Mann.

Akademie: Und mit dem Umzug von der Steinstraße in die Sophienstraße.

Herr Grein: Ich kann mich nur entsinnen an die Sophienstraße.

Akademie: Und da ist man damals auch schon reingegangen von der Sophienstraße?

Herr Grein: Von der Sophienstraße konnte man reingehen oder auch von der Kriegsstraße, da war ein Durchgang. Ich bin nur von der Sophienstraße reingegangen.

 

Chirurgische Behandlungen mit Lachgas

Akademie: Und war es auch so, dass das ganze Gebäude das Institut war?

Herr Grein: Jaja, das ganze Gebäude, ja. Da war ein großer Behandlungssaal und da war, wie gesagt, ein kleinerer Eingriffsraum, wo der Engel tätig war. Das war dem sein Operationssaal, da ist mir, da bin ich das erste Mal umgefallen, wo wir zugeschaut haben. Und da war so schlechte Luft, da hat es bums gemacht und da bin ich dann gelegen, (lacht), ja, der Engel hat ja alles operiert, und damals hat man sehr viel gemacht mit Lachgas.

Wir danken Herrn Grein für die Einblicke in seine dentistische Berufsausbildung und die persönlichen Erinnerungen an den damaligen Direktor Emil Kimmich und auch den späteren Direktor Walther Engel.

 

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