Übersichtliche Darstellung der zentralen Erkenntnisse der Masterarbeit „Die Wirksamkeit des Masterstudiengangs Integrated Practice in Dentistry – empirische Rekonstruktion von Lernerfahrungen entlang der Ziel von CPD“
„Die hier angewandte Methodik kann die Ergebnisse eines postgradualen Langzeitlernprogramms evaluieren und sich gleichzeitig auf die alltäglichen Anforderungen der Teilnehmer beziehen. Es gelingt die wachsenden Kompetenzen der Zahnärzte detailliert, schlüssig und in allen Dimensionen der beruflichen und privaten Entwicklung zu präsentieren. Außerdem kamen verborgene Lerndimensionen (Persönlichkeit, professionelles Umfeld) explizit zum Vorschein, die auf die Nachhaltigkeit dieses Lernansatzes verweisen.“
Übersichtliche Darstellung der ersten Ergebnisse aus dem Dissertationsprojekt „Postgraduale Weiterbildung im Sinne reflexiver professioneller Entwicklung“ – Teilbereich Wirkungsfelder.
„In der Zahnmedizin existieren zahlreiche Weiterbildungsprogramme, die eine fachliche Ausrichtung bzw. zeitgemäße Professionalisierung des Zahnarztes zum Ziel haben. Die Weiterbildungsanbieter verfolgen mit ihren Formaten spezifische Intentionen, die sie nach außen kommunizieren, um Interesse zu wecken. Wie jedoch die Teilnehmer ihre Weiterbildung erleben und was sie davon langfristig im Praxisalltag umsetzen, ist oft nicht bekannt und nur mit großem Aufwand zu erheben.“
Fotos mit Dr. Dr. Simone Ulbricht, M.A. (Quelle: Bildarchiv Akademie Karlsruhe)
Zur BildergalerieEin Kurs und seine Folgen
Als Mitarbeiterin der Akademie besuchte ich im Rahmen des Masterstudiengangs „Integrated Practice in Dentistry“ im Oktober 2008 den Kurs „Q-Projekt“, in dem jeder Teilnehmer ein persönliches Entwicklungsprojekt anstreben sollte. Diese interaktive Fortbildung, die sich über zwei Wochenenden erstreckte, wurde von dem Humanwissenschaftler Prof. Michael Dick aus Magdeburg geleitet. Schon damals fiel mir auf, dass der Kurs kein zahnmedizinisches Fachwissen oder praktische Fähigkeiten fokussierte, sondern dass neue zunächst zahnmedizinfremde Aspekte (Zusammenhang von Weiterbildung, Qualität und Kompetenz oder interkollegiale Qualitätsförderung), diskutiert wurden. Mit Spannung hörte ich Prof. Dick zu und stellte im Austausch mit den anderen Kollegen fest, welche Vernetzung die Zahnmedizin mit der Gesellschaft besitzt bzw. was es bedeutet, eine Profession zu sein.
Als damaliger „Akademiefrischling“ und nur von der universitären Ausbildung geprägt, war diese Art der Fortbildung für mich kontrastreiches Neuland. Auf einmal wurde von der Arbeitsgruppe die Frage in den Raum geworfen, welchen langfristigen Nutzen eine postgraduale Weiterbildung bzw. konkret der Masterstudiengang „Integrated Practice in Dentistry“ Masterstudiengang für seine Absolventen stiftet. Als Zahnärztin an einem Fort- und Weiterbildungsinstitut wollte ich mich dieser Fragestellung annehmen, obwohl ich zu diesem Zeitpunkt nicht wusste wie man überhaupt eine postgraduale Weiterbildung im Hinblick auf ihre langfristige Wirksamkeit evaluiert, was für Methoden aus der Sozialforschung zur Verfügung stehen und wie viel Zeit das Ganze beanspruchen wird.
Eintauchen in die Welt der qualitativen Sozialforschung
Als Zahnarzt ist man von Grund auf naturwissenschaftlich geprägt. Umso interessanter war die Konfrontation mit den Geisteswissenschaften, die weniger nach kausalen Erklärungen suchen, sondern vielmehr auf das Verstehen von Sinn abzielen. Um individuelle Lernerfahrungen bei den Absolventen zu erheben, reichte somit ein standardisierter Fragebogen nicht aus. Es bedurfte eines persönlichen Gesprächs in Form eines Interviews, in meinem Fall des episodischen Interviews (Flick 1996), um sowohl narrativ-episodisches Wissen an konkrete Begebenheiten als auch aus Erfahrung abgeleitetes (=semantisches) Wissen zu erheben. Ein Gesprächsleitfaden mit offenen Fragen sollte meine Interviewpartner unvoreingenommen zur Erzählung von Situationen motivieren, die sie mit der Weiterbildung in Verbindung bringen und anhand derer sie eine Entwicklung erkennen können. So habe ich bereits für das „Q-Projekt“ sechs episodische Interviews mit Absolventen der ersten Matrikel (Jahrgang 2004-2006) erhoben, die daraus entstandenen Audiodateien anonymisiert sowie transkribiert und abschließend formal und inhaltlich ausgewertet.
Doch wie funktioniert eine qualitative Datenauswertung? Begriffe wie „Narrationsanalyse“ (Schütze 1983) oder Grounded Theory“ (Glaser und Strauss 1998) waren mir fremd. Schritt für Schritt eignete ich mir durch das Lesen von Fachbüchern und im Gespräch mit Prof. Dick das notwendige Wissen zur Interviewanalyse an. Diese zunächst unbekannte Welt der qualitativen Forschung hatte mein Interesse geweckt und begann sogar richtig Spaß zu machen. Bereits bei der kleinen Stichprobe an Absolventen konnte aufgezeigt werden, dass der Masterstudiengang berufspraktische Veränderungen, Entwicklungen auf der individuellen Reflexionsebene sowie Auswirkungen im kollegialen Umfeld mit sich bringt. Auch die methodische Herangehensweise wurde bestärkt, indem die individuellen „verborgenen“ Lernerfahrungen zugänglich gemacht und durch Kategorisierung nachvollziehbar dargestellt werden konnten.
Die Masterarbeit als nächstes Etappenziel
Dadurch dass die Ergebnisse des „Q-Projekts“ vielversprechend waren, wurden die Forschungsarbeiten zu den Grundlagen des Weiterlernens, basierend auf den Lernerfahrungen im Masterstudiengang „Integrated Practice in Dentistry“, zu meiner Masterarbeit unter Prof. Dick ausgeweitet. Die Interviewstichprobe wurde auf 14 ehemalige Studenten angehoben, die aus drei unterschiedlichen Matrikeln kamen. Die Zielsetzung der Masterarbeit bestand darin, Erfahrungen des Weiterlernens bewusst zu machen, einen Zusammenhang zwischen dem Lernansatz Continuing Professional Development herzustellen sowie Rückschlüsse auf Lernprozesse von Erwachsenen ziehen zu können. Auch in der Masterarbeit konnten durch mehrstufige Kodierprozesse Entwicklungen auf drei verschiedenen Ebenen sichtbar gemacht werden. Diese betrafen die Berufspraxis (Fachwissen, Praxisorganisation, Behandlung), die eigene Persönlichkeit (Reflexionsvermögen, Selbstvertrauen, Performanz, analytische Kompetenz) und die professionelle Gemeinschaft (sozialer Zusammenhalt, kollegiale Hilfe). Dabei wurden sowohl die Einzelfälle als auch die gesamten Entwicklungsstrukturen näher beleuchtet. Diese belegten, dass die Anforderungen von CPD durch den Masterstudiengang der Akademie erfüllt werden, da ein Zusammenhang zwischen Lernerfahrungen und CPD-Ausrichtung besteht.
Regelmäßiger intra- und interdisziplinärer Gedankenaustausch ebnet den Weg zur Promotion
Die Untersuchungsmethodik und die Ergebnisse im Rahmen meiner Masterarbeit waren nicht nur für die Akademie von Bedeutung. Auch auf der Jahrestagung des Arbeitskreises zur Weiterentwicklung der Lehre in der Zahnmedizin (AKWLZ) wurden im Juli 2011 die wichtigsten Erkenntnisse der Masterarbeit in Form eines Posters präsentiert und mit dem Posterpreis ausgezeichnet. Vor allem die qualitative Vorgehensweise traf auf großes Interesse, da diese Methode für die Zahnärzteschaft nicht zum Standardrepertoire gehört. Auch auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Weiterbildung und Fernstudium (DGWF) in Bielefeld referierten Prof. Dick und ich im September 2011 über die berufsbegleitende Weiterbildung als Professionsentwicklung (Ulbricht S. & Dick M 2012). Nachdem auch die Masterarbeit methodisch und inhaltlich sowohl unter Zahnärzten als auch Sozialwissenschaftlern Bestätigung erfuhr, beschlossen Prof. Dick und ich, die nach wie vor unzureichend erforschte Frage nach der langfristigen Wirksamkeit postgradualer Weiterbildung unter Zahnärzten im Rahmen einer Promotionsarbeit in den Humanwissenschaften nachzugehen.
Die Konkretisierung des Vorgehens zum „Dr. phil“ hinsichtlich der Auswahl der zu untersuchenden Weiterbildungsprodukte, die Suche nach Interviewpartnern, die Infragestellung der bisher angewandten Methodik oder auch die Definition der Forschungsfragen dauerte nahezu zwei Jahre und wurde regelmäßig durch die Forschungsgruppe um Prof. Dick oder Methodenworkshops an der Otto-von-Guericke Universität Magdeburg diskutiert. Auch im weiteren Entstehungsprozess der Doktorarbeit war der kontinuierliche Austausch mit Prof. Dicks Wissenschaftlern essentiell, um das eigene Vorgehen immer wieder auf den Prüfstand zu stellen und Feedback zu erhalten. Dazu fanden mehrmals Doktorandenkolloquien statt, die neben fachlichen Gesprächen auch den persönlichen Kontakt untereinander förderten.
Welchen langfristigen Nutzen stiftet eine postgraduale Weiterbildung?
Daher war mein Dissertationsprojekt in der Weiterbildungs-, Transfer- und Professionsforschung verortet, um die komplexen Forschungsfragen von allen Seiten beleuchten zu können. Mit Hilfe eines primär qualitativen Designs sollte die nachhaltige Wirksamkeit professioneller Weiterbildung in der Zahnmedizin untersucht werden. Obwohl für Zahnärzte zahlreiche Qualifizierungsmaßnahmen existieren und eine hohe Weiterbildungsbeteiligung vorherrscht, gibt es keine gezielten Analysen zu langfristigen Auswirkungen sowie potenziellen Transfermechanismen. Auch in der Akademie als Fort- und Weiterbildungsinstitut kamen bislang nur standardisierte Fragebögen zur Evaluation der direkten Reaktion auf Einzelkurse bzw. ein Curriculum zum Einsatz. Somit waren meine qualitativen Forschungsarbeiten zur Erhebung des langfristigen Nutzens, des hauseigenen Masterstudiengangs sowie dessen Kontrastierung zu anderen Weiterbildungsprogrammen von großer Bedeutung.
Nach der Auswahl von vier geeigneten zahnärztlichen Langzeitlernprogrammen mit unterschiedlichen Lernansätzen, zu denen erneut der Masterstudiengang „Integrated Practice in Dentistry“ gehörte, wurden deren Informationsbroschüren bzw. Homepageinhalte analysiert sowie Experteninterviews (n=4) mit den jeweiligen Weiterbildungsorganisatoren durchgeführt, um die Intentionen der einzelnen Weiterbildungen zu erheben und diese in einem Kategoriensystem zu Wirkungsfeldern zu verdichten. Darüber hinaus wurden mit den Absolventen (n=5 je Programm) episodische Interviews durchgeführt, um das subjektive Weiterbildungserleben mit Schlüsselsituationen, die eine Entwicklung evozierten, zu erheben. Diese Gespräche wurden sowohl formal als auch inhaltlich analysiert bzw. kodiert und die Ergebnisse dem bestehenden Kategoriensystem zugeordnet. Mittels Profilanalyse konnten nun die Intentionen der Weiterbildungsanbieter mit den Aussagen der Teilnehmer verglichen werden, um Übereinstimmungen oder Abweichungen aufzudecken (vgl. Link2). Zu jedem Absolventen wurde eine Synopse mit einem speziell für die Studie entwickelten Funktionsmodell erstellt, um Beweggründe zur Weiterbildung, die individuellen Lern- und Transferprozesse sowie die Transferdeterminanten darzustellen. Ein fallübergreifender Vergleich diente abschließend zu der Erarbeitung einer Typologie sowie im Rahmen einer prozessbezogenen Evaluation zur Identifikation von transferfördernden und -hemmenden Faktoren.
Auch in der Promotionsarbeit gelang es, mit Hilfe des qualitativen Designs die nachhaltige Wirksamkeit von postgradualer Weiterbildung für Zahnärzte zu evaluieren und dabei sowohl das subjektive Erleben sowie die Reflexionsmöglichkeiten zu berücksichtigen als auch sich auf die alltäglichen Anforderungen der Teilnehmer zu beziehen. Ich konnte sechs Wirkungsfelder ermitteln, die das Individuum selbst (Fachwissen, praktische Fähigkeiten, Persönlichkeitsentwicklung & Biografie), seine nahe Arbeitsumgebung (Organisation) sowie das weite professionelle Umfeld (professionelles Netzwerk, gesellschaftlicher Nutzen) betreffen. Diese verdeutlichen, dass eine zeitgemäße Weiterbildung weit mehr als nur einen instrumentellen Nutzen verfolgt.
„Die Entfaltung der Persönlichkeit sowie die professionellen bzw. gesellschaftlichen Belange werden immer bedeutsamer, so dass Weiterbildung zur reflexiven professionellen Entwicklung beitragen kann. Die Profilanalyse und das Funktionsmodell geben den Weiterbildungsveranstaltern wichtige Hinweise zur Optimierung der jeweiligen Programme, so dass diese zukünftig noch effizienter gestaltet werden können. Auch die Transferforschung bekommt durch die neue Transfertypologie bedeutsame Impulse, indem der bislang auf Wissen und Können begrenzte Transferbegriff um den Expansions- bzw. Bildungscharakter erweitert wird. Die intensive Auseinandersetzung mit professioneller Weiterbildung und deren Evaluation ist unverzichtbar, um die Auswirkungen von dieser in ihrer Gesamtheit zu begreifen und ihre Qualität zu sichern, so dass nicht nur der Einzelne, sondern auch die Profession und die Gesellschaft profitieren.“ (Ulbricht 2016) Erfolgreich abgeschlossene Promotionen
Persönliches Fazit
Als ich am 31. März 2008 in den zahnärztlichen Dienst der Akademie eingetreten bin, habe ich nicht damit gerechnet, genau 8 Jahre später, am 31. März 2016, eine Promotion in den Humanwissenschaften erfolgreich zu verteidigen und abzuschließen. Es waren Jahre intensiver Arbeit in einem zunächst fachfremden Gebiet, die aber im Rückblick eine Bereicherung für mich darstellen und mir stets Freude bereiten haben. Die Akademie und ihre Kooperation mit der Universität Magdeburg haben mir dieses persönliche Entwicklungsprojekt ermöglicht, so dass ich insbesondere Prof. Walther und Prof. Dick für ihre langjährige Unterstützung dankbar bin. Eine besondere Überraschung und Würdigung meines wissenschaftlichen Engagements stellte die Verleihung des Promotionspreises an der Fakultät der Humanwissenschaften am 17. November 2016 in Magdeburg dar.
Die intensive Auseinandersetzung mit postgradualer Weiterbildung kann der Akademie als Fort- und Weiterbildungsinstitut helfen, die Auswirkungen von Weiterbildung zu begreifen und sie zukünftig dermaßen zu gestalten, dass nicht nur der Einzelne, sondern auch die Profession sowie die Gesellschaft von deren Strukturen profitieren. Dabei besteht die Aufgabe nicht nur in der Entwicklung zukunftsträchtiger Lernansätze, sondern auch in ihrer systematischen und regelmäßigen Evaluation. Diese ist unverzichtbar, um eine Qualitätssicherung in der Weiterbildung zu erreichen und die gewünschte Professionalisierung sicherzustellen, damit die Versorgungsstrukturen in Zeiten mit technischem Fortschritt und wachsenden Patientenansprüchen stets nachhaltig optimiert werden können.
In diesem Sinne wünsche ich der Akademie, dass sie auch in den nächsten 100 Jahren als eine führende Institution für eine qualitativ hochwertige zahnärztliche Fort- und Weiterbildung angesehen werden wird.
Literatur |
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Flick, U. (1996): Das episodische Interview – Konzeption einer Methode. In: ders. (Hrsg.): Psychologie des technisierten Alltags. Soziale Konstruktion und Repräsentation technischen Wandels (S. 147-165). Opladen: Westdeutscher Verlag. |
Glaser, B. G. & Strauss, A. L. (1998): Grounded Theory. Strategien qualitative Forschung. Aus dem Amerikanischen (Original von 1967) übersetzt von Paul, A. T. & Kaufmann, S.; Bern: Huber. |
Schütze, F. (1983): Biographieforschung und narratives Interview. Neue Praxis, 13 (3), 283-293. |
Ulbricht, S. (2016): Die Wirksamkeit postgradualer Weiterbildung im Sinne reflexiver professioneller Entwicklung. Wirkungsfelder, Funktionsmodell und Transfertypologie. Universität Magdeburg: Dissertation. |
Ulbricht, S. & Dick, M. (2012): Berufsbegleitende Weiterbildung als Professionsentwicklung – Qualitative Evaluation zur Wirksamkeit des interdisziplinären Masterstudiengangs „Integrated Practice in Dentistry“. In: U. Bade-Becker & M. Beyersdorf (Hrsg.) DGWF Jahrestagung 2011: Grenzüberschreitungen in der wissenschaftlichen Weiterbildung: Interdisziplinarität, Transnationalisierung, Öffnung (S. 143-151). Hamburg: DGWF-Beiträge. |