Zahnärztliche Akademie

Die ersten 40 Jahre – Dentist und Zahnarzt, der duale Berufsstand

1952

Die Quellen:

Das im Bundesgesetzblatt Nr. 15, S. 221-223, am 31. März 1952 veröffentlichte Gesetz

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Titelseite, Inhaltsverzeichnis und Zusammenfassung der Masterarbeit (2008) „Vom Dentisten zum Zahnarzt“ von Frau Dr. Astrid Luft, M.A.

„In der Entwicklung des Berufsstandes der Zahnmediziner gab es beginnend in der Mitte des 19. Jahrhunderts über ein knappes Jahrhundert hinweg noch eine zweite große Gruppe von Zahnkünstlern, später Dentisten, die Zahnbehandlungen durchführten. Dieser sogenannte Dualismus wurde am 31. März 1952 mit dem „Gesetz über die Ausübung der Zahnheilkunde“ beendet. Seitdem ist es nur noch nach einem abgeschlossenen Hochschulstudium möglich, Zahnmedizin auszuüben.“

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Titelseite, Inhaltsverzeichnis und Themenwahl der Masterarbeit (2010) „Zwei Ausbildungswege - ein Beruf“ von Frau Dr. Martina Schnell, M.A.

„Je mehr Zeit verging, desto weniger unterschieden sich die Berufsbilder. Die Voraussetzungen, die Ausbildungswege und die Wissenschaftlichkeit verdeutlichten aber die Abgrenzungen voneinander. Durch das Gesetz von 1952 fand dieser sogenannte „Dualismus“ ein Ende.“

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Das Zahnheilkundegesetz 1952

von Dr. Dr. Hans Ulrich Brauer, M.A.

Das Zahnheilkundegesetz

Der Deutsche Bundestag verabschiedete am 14. Februar 1952 einstimmig das Gesetz über die Ausübung der Zahnheilkunde. Vorausgegangen war diesem 1948 das Bonner Abkommen der jeweiligen Standesvertretungen (Groß 2015). Auf der Hauptversammlung des Verbandes der Deutschen Zahnärztlichen Berufsvertretungen und des Verbandes Deutscher Dentisten e.V. am 13. November 1948 haben diese ihre Bereitwilligkeit ausgedrückt, Verhandlungen über die Beseitigung des Dualismus zu führen. Im Ergebnispapier steht zudem, dass die Vertreter beider Stände anerkennen, dass Mängel in der Berufsausbildung beider Stände vorhanden sind, die durch eine neue einheitliche Studienordnung beseitigt werden müssen. Auch die verlängerte zweijährige Berufsausbildung an den Lehrinstituten ist bereits als ein Punkt im Abkommen festgehalten (Maretzky & Venter 1974).

Das 24 Paragraphen umfassende Zahnheilkundegesetz wurde am 31. März 1952 veröffentlicht. Es regelt die Bestallung als Zahnarzt, die Eingliederung der Dentisten, nennt Sonderbestimmungen und Zuständigkeiten und enthält Straf-, Übergangs- und Schlussbestimmungen. Unterschrieben ist das Gesetz vom Bundespräsidenten Theodor Heuss, von Bundeskanzler Konrad Adenauer und vom Bundesminister des Innern Dr. Robert Lehr.

Der Paragraph 1 beschreibt im Absatz 2 das Tätigkeitsfeld des Zahnarztes:

„Ausübung der Zahnheilkunde ist die berufsmäßige auf zahnärztlich wissenschaftliche Erkenntnis gegründete Feststellung und Behandlung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten. Als Krankheit ist jede von der Norm abweichende Erscheinung im Bereich der Zähne, des Mundes und der Kiefer anzusehen, einschließlich der Anomalien der Zahnstellung und des Fehlens von Zähnen.“

Die Eingliederung der Dentisten

Im zweiten Abschnitt des Zahnheilkundegesetzes wird in den Paragraphen 8-11 die Eingliederung der Dentisten in den neuen Einheitsstand geregelt.

Zahnheilkundegesetz 1952, §§ 8-11 zur Eingliederung der Dentisten

§ 8
(1) Wer bei Inkrafttreten dieses Gesetzes die staatliche Anerkennung als Dentist besitzt, erhält die Bestallung als Zahnarzt, wenn er an einem Fortbildungskursus über Mund- und Kieferkrankheiten sowie Arzneimittellehre erfolgreich teilgenommen hat. Der Fortbildungskursus ist an einem der zugelassenen Lehrinstitute für Dentisten durchzuführen.
(2) Die für das Gesundheitswesen zuständige oberste Landesbehörde des Landes, in dem der Antragsteller seinen Wohnsitz hat, entscheidet im Einzelfall darüber, ob einem Dentisten, der eine ausländische Bestallung als Zahnarzt besitzt, die Bestallung als Zahnarzt unter Befreiung von der Teilnahme an einem Fortbildungskurs erteilt werden kann.

§ 9
(1) Dentistenassistenten, die bei Inkrafttreten dieses Gesetzes ein zugelassenes Lehrinstitut für Dentisten besuchen oder die Voraussetzungen zum Besuch erfüllen, erhalten die Bestallung als Zahnarzt, wenn sie innerhalb von 2 Jahren nach Inkrafttreten diese Gesetzes die staatliche Anerkennung als Dentist erworben und an einem Fortbildungskurs nach § 8 teilgenommen haben.
(2) In besonderen Fällen kann die in Absatz 1 bezeichnete Frist verlängert werden.

§ 10
(1) Anwärter des Dentistenberufs, die bei Inkrafttreten dieses Gesetzes die ordnungsmäßige Ausbildung begonnen haben, erhalten die Bestallung als Zahnarzt, wenn sie die Voraussetzungen für den Besuch eines Lehrinstituts für Dentisten erfüllt und nach einer viersemestrigen Ausbildung an einem zugelassenen Institut die Prüfung vor einer staatlichen Prüfungskommission bestanden haben.
(2) Die Prüfungsordnung erlässt der Bundesminister des Innern mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung.

§ 11
Die Bestallung als Zahnarzt darf in den Fällen §§ 8 bis 10 nur erteilt werden, wenn der Bewerber das 25. Lebensjahr vollendet hat und Versagensgrund nach § 3 vorliegt.

Die Urkunde zum Bestehen der Abschlussprüfung als Dentist von Hans Zoller wenige Tage vor Inkrafttreten des Zahnheilkundegesetzes - um die Bestallung als Zahnarzt zu erhalten, musste der 60-stündige Fortbildungskurs absolviert werden (Quelle: Unterlagen Hans Zoller)

Die Entwicklung nach 1952

Bis zum Ende des Jahres 1953 erbrachten nach Maretzky & Venter (1974) mehr als 15.000 Dentisten mit dem Besuch des 60-stündigen Fortbildungskurses an einem der Lehrinstitute den gesetzlich geforderten Qualifikationsnachweis und erhielten somit die Bestallung als Zahnarzt. Die konkrete Durchführung des Paragraphen 8 Absatz 1 des Gesetzes über die Ausübung der Zahnheilkunde regelte die Verordnung vom 17. Dezember 1952. Darin ist verfügt, dass die abzuhaltenden Fortbildungskurse an den Lehrinstituten für Dentisten im Land Bayern durch das Lehrinstitut in München, in Baden-Württemberg durch das Lehrinstitut in Karlsruhe, in den Ländern Hessen und Rheinland-Pfalz durch das Lehrinstitut in Frankfurt a. M., im Land Nordrhein-Westfalen durch das Lehrinstitut in Köln, in den Ländern Niedersachsen und Bremen durch das Lehrinstitut in Hannover, in den Ländern Hamburg und Schleswig-Holstein durch das Lehrinstitut in Hamburg und im Land Berlin durch das Lehrinstitut in Berlin durchzuführen sind. Es wird zudem verfügt, dass sich die Fortbildungskurse auf das Stoffgebiet Mund- und Kieferkrankheiten einschließlich zahnärztlicher Chirurgie zu 40 Stunden und für das Stoffgebiet Arzneimittellehre und Arzneiverordnungslehre zu 20 Stunden beziehen. Ein ausführlicher Themenplan mit Stundenangaben ist der Verordnung ebenso beigefügt. Eine Prüfung ist nicht vorgesehen. Die Vollendung des Einheitsstandes sollte bis 1960 dauern, da auch den Anwärtern des Dentistenberufes, die bei Inkrafttreten des Gesetzes die ordnungsgemäße Ausbildung begonnen hatten, die Bestallung als Zahnarzt ermöglicht werden sollte, wenn sie nach einer viersemestrigen Ausbildung an einem zugelassenen Institut die Prüfung vor einer staatlichen Prüfungskommision bestanden haben. Vollendeter Einheitsstand

Der Konflikt zwischen Zahnärzten und Dentisten wurde mit dem neuen Gesetz 1952 formal gelöst, der Anteil an dentistisch ausgebildeten Zahnärzten wurde 1967 mit etwa 45 % angegeben (Schnelle 1968). Mit der Aufnahme der Dentisten in den Zahnärztestand wurde der Doktortitel zum einzigen sichtbaren Unterscheidungsmerkmal zwischen dem akademisch und dem nichtakademisch ausgebildeten Zahnarzt (Groß 2015).

Frau Dr. Astrid Luft, M.A. hat erfolgreich den Masterstudiengang Integrated Dentistry 2006-2008 absolviert (Quelle: Bildarchiv Akademie Karlsruhe)

Zwei Studien zu den Auswirkungen des beschlossenen Einheitsstandes

Aus dem Masterstudiengang Integrated Dentistry liegen zwei interessante Abschlussarbeiten vor, die sich dem Thema Dentisten und Zahnärzte vor dem Hintergrund des Zahnheilkundegesetzes auseinandersetzen. Die erste Masterarbeit stammt aus dem Jahr 2008. Die Autorin ist Frau Kollegin Dr. Astrid Luft, M.A. Der prägnante Titel ihrer Arbeit lautet: „Vom Dentisten zum Zahnarzt.“
Quelle: Masterarbeit

In problemzentrierten Leitfadeninterviews mit Dentisten bzw. dentistisch ausgebildeten Zahnärzten untersucht sie das persönliche Erleben der Interviewten in der Phase ihrer Berufsausbildung und in ihrem späteren Berufsleben. Sie arbeitet das Selbstbild der nicht akademisch ausgebildeten Zahnärzte heraus und beleuchtet das Verhältnis zwischen Dentisten und Zahnärzten. Die Stichprobe umfasst neun Personen, die zum Zeitpunkt des Interviews zwischen 73 und 80 Jahren alt waren. Die Auswertung erfolgt mittels qualitativer Inhaltsanalyse. Somit liegt dieser Arbeit ein qualitatives Forschungsdesign zugrunde. Betreut wurde die Arbeit von Prof. Dr. Wilfried Marotzki von der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg.

Zentrale Ergebnisse sind beispielsweise, dass die erlebte „Akademisierung“ für die Interviewten eher eine untergeordnete Rolle spielte und keine Statusänderung bedeutete. So wird verständlich, dass der Dentistenstand von den Interviewten keineswegs als „minderwertig“ angesehen wurde. Als Begründung kann die hohe Qualität der Ausbildung im untersuchten Zeitraum angegeben werden. Der Vorwurf der Minderwertigkeit komme vielmehr von den akademisch ausgebildeten Zahnärzten. Die dentistische Standesentwicklung war stark zahntechnisch geprägt. So überrascht es nicht, dass das Selbstbild der Interviewten eher das eines Handwerkers ist:

„Daraus folgt auch die Betonung des Praktischen, Praktikablen, auch Lebensnahen im Gegensatz zur wissenschaftlichen und mitunter vielleicht auch menschenfremd empfundenen Theorie.“ (Luft 2008)

Die technisch orientierte Ausbildung am Lehrinstitut wurde während der Institutszeit mitunter „als sehr anspruchsvoll“ erlebt. Der Zusammenhalt in der Ausbildung wird betont. Das Verhältnis der Interviewten zu den Zahnärzten war überwiegend positiv (Luft 2008).

Unter der Moderation von Prof. Dr. Winfried Walther überreicht Prof. Dr. Michael Dick der Masterabsolventin (2008-2010) Frau Dr. Martina Schnell, M.A. die Masterurkunde Master of Arts (Quelle: Bildarchiv Akademie Karlsruhe)

Als zweite Masterarbeit liegt aus dem Jahr 2010 die Arbeit von Frau Dr. Martina Schnell, M.A. vor. Sie lautet: „Zwei Ausbildungswege – ein Beruf. Zeitzeugeninterviews dentistisch ausgebildeter Zahnärzte zu ihrem Ausbildungsweg und ihrer beruflichen Situation um 1952.“ Quelle: Masterarbeit
Die Arbeit von Frau Dr. Luft hatte zuvor einen anderen Aspekt des Themas behandelt. Frau Dr. Schnell stellt fest:

„Mit der Studie von Frau Luft entstand etwas in der geschichtlichen Aufarbeitung der Zahnheilkunde Neues. Zum ersten Mal wurden in einer wissenschaftlichen, zahnmedizinischen Arbeit die Zeitzeugeninterviews eingesetzt. Die Perspektive drehte sich. Denn jetzt kamen erstmals Personen zu Wort, die nur von der Situation betroffen sind und sie nicht gestaltet haben. Eine Sicht von unten also.“

Gleichzeitig möchte Frau Dr. Schnell die Ergebnisse anhand von eigenen Zeitzeugeninterviews kritisch hinterfragen. Auch hier wurde bei der Auswertung der Interviews eine qualitative Inhaltsanalyse durchgeführt. Die zweite Arbeit stützt im Wesentlichen die aus der Masterarbeit von Frau Dr. Luft gewonnenen Befunde und die abgeleiteten Muster. Frau Dr. Schnell stellt die Ergebnisse in einen berufspolitischen Kontext:

„Eindeutig hilft das Wissen um die Vorgänge der Eingliederung der Dentisten für die momentan wieder schwierige Situation der Zahnmedizin im politischen und wirtschaftlichen Umfeld. Es gibt politische Bestrebungen, einen kürzeren und nicht an einer wissenschaftlichen Hochschule ausgebildeten zahnärztlichen Berufszweig zu etablieren. Nach dem oben Dargestellten müsste ein solches Unterfangen im Interesse des Berufsstandes unbedingt verhindert werden, denn der gleiche Kreislauf wie schon einmal mit den Dentisten würde in Gang gesetzt werden.“

Damit schließt sich auch der Kreis zu ihrer Einleitung, in der sie schreibt:

„Bei der Beschäftigung mit dem Thema erkannte ich auch, wie hilfreich es für Mitglieder unserer Standesorganisation sein könnte, über geschichtliche Zusammenhänge in unserem Berufsstand Bescheid zu wissen. Wie zu sehen ist, liefert die Vergangenheit Richtlinien für zukünftiges Handeln im Interesse des Berufes, auch wenn Geschichte sich nicht genau wiederholt.“ (Schnell 2010)

 

Zitierte Literatur
Groß, Dominik (2015). Die Lösung der „Dentistenfrage“. Zahnärztliche Mitteilungen vom 16.11.2015, 105 (22a): 78-82
Luft, Astrid (2008). Vom Dentisten zum Zahnarzt. Masterarbeit, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
Maretzky, Kurt & Venter, Robert (1974). Geschichte des deutschen Zahnärzte-Standes. Bundesverband der Deutschen Zahnärzte e.V., Köln
Schnell, Martina (2010). Zwei Ausbildungswege - ein Beruf. Zeitzeugeninterviews dentistisch ausgebildeter Zahnärzte zu ihrem Ausbildungsweg und ihrer beruflichen Situation um 1952. Masterarbeit, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
Schnelle, Hildegard (1968). Bezugsgruppenprobleme im Zahnarztberuf (S. 51-84). In: Soziologische Probleme medizinischer Berufe (Hrsg.: H. Kaupen-Haas). Springer Fachmedizin, Wiesbaden

 

Weitere Informationen:

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