Zahnärztliche Akademie

Die ersten 40 Jahre – Dentist und Zahnarzt, der duale Berufsstand

1933-1945

Die Quellen:

Zwanzig Jahre Karlsruher Lehrinstitut - ein Bericht von Emil Kimmich in der Deutschen Dentistischen Wochenschrift 1940

„Von Anfang an war die Arbeit im Institut ausgerichtet auf den Leistungsgrundsatz.“

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Das Lehrinstitut in der Zeit des Nationalsozialismus

von Prof. Dr. Winfried Walther

Das Forschungsprojekt „Zahnmedizin und Zahnärzte im Nationalsozialismus“

Zahnmedizinische Berufe hatten schon vor der Machtergreifung im Jahr 1933 eine besondere Affinität zum Nationalsozialismus. Das wissen wir, seit die Ergebnisse des Forschungsprojektes „Zahnmedizin und Zahnärzte im Nationalsozialismus“ vorliegen. In diesem Beitrag werden wir Bezug nehmen auf die sehr ausführliche 106 Seiten starke Pressemappe von BZÄK und KZBV vom 28. November 2019, die dem interessierten Leser unter https://www.kzbv.de/pressemitteilung-vom-28-11-2019.1348.de.html zum Download zur Verfügung steht.
 

Blick auf die Täter

Für den Blick auf die Täter war in diesem Forschungsprojekt Prof. Dr. mult. Dominik Groß verantwortlich. Er erhob Informationen über Zahnärzte, die in nationalsozialistischen Organisationen an Verbrechen beteiligt waren, untersuchte aber auch die allgemeine Affinität der Zahnärzte zum NS-Regime. Im Jahr 1933 waren bereits 12% der über 10.000 deutschen Zahnärzte Mitglied der NSDAP (Groß, Westemeier, Bitterich: Dossier 1, Der Anteil der NSDAP-Mitglieder unter den zahnärztlichen Hochschullehrern, Pressemappe S.61). Der entsprechende Wert bei den Ärzten lag bei 7%. Groß hält die zunehmend schlechte wirtschaftliche Sitution in der ausehenden Weimarer Republik für eine mögliche Ursache des Interesses der Zahnärzte am NS-System.
Groß hat auch recherchiert, wer unter den führenden Persönlichkeiten der Zahnheilkunde Mitglied der NSDAP war. Bei den Hochschullehrern lag der Anteil der Parteimitglieder bei über 60%. Die Studie weist nur wenige führende Köpfe des Dentistenstandes als Parteigenossen aus. Einer von ihnen ist Emil Kimmich, Direktor des Karlsruher Lehrinstitutes (Pressemitteilung S. 83).
Durch den Dualismus Zahnärzte – Dentisten bestanden zwei Berufsverbände. Groß geht davon aus, dass diese dem NS-Regime gegenüber in einen „Überbietungswettbewerb“ gerieten und sich gezielt den neuen Machthabern andienten.
Wieviel Dentisten 1933 schon Parteimitglied waren, ist nicht bekannt. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Anzahl der vom Regime Verfolgten, die von Dr. Matthis Krischel erhoben wurde (Pressemitteilung S. 35). Insgesamt ermittelte er 1376 Zahnärzte, die als Verfolgte des Nazi-Systems ihr Leben verloren oder emigrieren mussten. In der Gruppe der Dentisten und Zahntechniker liegt dieser Wert bei 327. Ganz offensichtlich bestand in der Gruppe der Dentisten wesentlich weniger Verfolgungsdruck.
 

Dokumente aus der Zeit des Nationalsozialismus

Im Rahmen unserer Recherchen stießen wir auf den Bericht über das 20-jährige Jubiläum des Lehrinstituts in der Deutschen Dentistischen Wochenschrift. Im Rahmen dieses Beitrages soll diese Ausgabe der Wochenschrift herangezogen werden, um das Denken und die Sprache in der Zeit des NS-Regimes zu beschreiben. Ferner fand sich in den staatlichen Archiven eine Anzahl von „Treuegelöbnissen“, datiert von 24. September 1937. Dieses „Gelöbnis“ Hitler gehorsam zu sein, wurde von der Polizeibehörde eingeholt. Für mehrere Lehrer am Dentistischen Insitut liegt ein entprechendes Dokument vor.
Ferner haben wir die „Spruchkammerakte“ von Emil Kimmich eingesehen, die im Staatsarchiv Freiburg aufbewahrt wird. Die Spruchkammer untersuchte nach dem Krieg die Verstrickung der NSDAP-Mitglieder in die Verbrechen des Regimes. Sie hatte den Anspruch ein „politisches Reinigungsverfahren“ durchzuführen. In den Akten der Spruchkammer sind Aussagen der Betroffenen, formale Angaben zur Parteimitgliedschaft und schließlich das Urteil der Kammer festgehalten. Dieses Dokument wird hier nicht im Wortlaut vorgestellt - aber wir werden es nutzen, um über die Rolle von Emil Kimmich nachzudenken.

Die Dokumente machen sehr deutlich, dass das Lehrinstitut in das NS-System integriert war und viele Anforderungen des Regimes erfüllte. Dennoch muss die Rolle des Direktors differenziert betrachtet werden. 
 

Das 20-jährige Jubiläum – der Bericht aus dem Jahr 1940

Schon ein Jahr tobt er Krieg, als Emil Kimmich den Bericht zum 20-jährigen Jubiläum des Lehrinstituts schreibt. Die Gründung wird erwähnt und die Opfer, die die Dentisten dafür aufgebracht haben. Im Jahr 1939 hat die Stadt Karlsruhe auch die bislang in anderer Nutzung befindlichen Räume des Hauses in der Sophienstraße der Dentistischen Lehrinstitut mietweise überlassen, sodass die Einrichtung erweitert und verbessert werden konnte. Der dadurch erreichte Stand an Räumen und Infrastruktur wird beschrieben.

Der Bericht greift auf den Wortschatz zurück, der durch das NS-Regime in Deutschland verbreitet wurde. Worte wie „Berufskameraden“, „Volksgenossen“ und „Blutorden“ tauchen auf. Der Krieg wird bezeichnet als „Zeit heldischen Geschehens“. Besonderen Wert legt Kimmich auf die Feststellung, dass im Lehrinstitut „Leistung“ als oberstes Gesetz gilt, was einer nationalsozialistischen Forderung nachkomme. Lang ist die Liste der Repräsentanten des NS-Staates, die als Gäste das Haus kennengelernt haben. Unter ihnen ist auch der „Reichsdentistenführer" Blumenstein.
Quelle: Dentistische Wochenschrift 1940

Hirsch, Blumenschmuck und Hakenkreuz - ein Bild, gefunden im Archiv der Akademie. Es ist rückseitig datiert mit dem 18. Juni 1937. Die Aufnahme entstand höchstwahrscheinlich im Hörsaal 2. Der Anlass ist nicht bekannt. (Quelle: Bildarchiv Akademie Karlsruhe)

Die Sprache des Extremismus

Wenngleich die Sprache, mit der der Leser dieses Berichtes konfrontiert ist, deutlich nationalsozialistisch konnotiert ist, gibt es doch einen Unterschied zwischen ihr und der Sprache des ungehemmten Extremismus. Um dies zu verdeutlichen, ist ein kurzer Textausschnitt des Vorworts selbiger Ausgabe der Deutschen Dentistischen Wochenschrift als Quelle beigefügt. Es wurde vom Reichsdentistenführer Blumenstein verfasst. Hier erlebt der Leser den geifernden Ton des überzeugten Nazis. Die Propagandalügen des Regimes werden aufgegriffen und mit Emphase verbreitet. Darüber hinaus wird deutlich, dass der Verfasser die Position der Dentisten gegenüber den Zahnärzten behaupten möchte, indem diesen die „beste fachliche Versorgung der zahnleidenden Volksgenossen“ zuschreibt.

Ein Dokument aus der Zeit danach

Das Spruchkammerverfahren in Sachen Emil Kimmich fand in den Jahren 1946-1948 statt. Ein Hauptverfahren und ein Revisionsverfahren sind dokumentiert. Ziel dieses Verfahrens war, die zu überprüfenden Personen in Bezug auf die Verstrickung in das NS-Regime einzuordnen. Grundlage hierfür war das „Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus“ vom 5. März 1946. Im ersten Verfahren wurde ein Sühnebescheid über 2000 Reichsmark erlassen. Eingaben von Seiten Kimmichs erwirkten eine Neuaufnahme, die schließlich zur Aufhebung des Sühnebescheides und Rückzahlung der Geldbuße führten. Die von Kimmich und einigen Fürsprechern vorgebrachten Sachgründe - darunter die von Ministerialrat Herrmann Stenz, der unter den Nazis lange Zeit im Gefängnis war -, überzeugten die Kammer offensichtlich. Zur Begründung der Aufhebung trifft die Kammer folgende Feststellungen:

Der Prüfling war weder ein Aktivist noch ein Militarist, noch ein Nutznießer des nat. soz. Systems. Was die Nutznießerschaft betrifft, so muss im Gegenteil festgestellt werden, dass der Prüfling durch die NSDAP benachteiligt worden ist. Der Prüfling war seit 1926 1. Vorsitzender des Reichsverbandes Deutscher Dentisten. Dieses Amt musste er 1933 auf Verlangen der Partei niederlegen, weil er sich damals noch weigerte, Pg. zu werden und infolgedessen politisch nicht als zuverlässig erschien. Was die Frage einer aktiven Mitarbeit betrifft, so hat der Prüfling im Jahre 1938, als er von der Partei zum Beitritt gedrängt wurde, die Beitrittserklärung nur unter der Bedingung abgegeben, dass er keine aktive Mitarbeit zu leisten brauche, sondern sich auf die Zahlung der Mitgliedsbeiträge beschränken dürfe. [...] Dementsprechend ist an den Prüfling auch nie das Ansinnen gestellt worden, dass er in der Partei ein Amt übernehmen solle.“

In der Akte des Spruchkammerverfahrens finden sich ferner eine ganze Reihe von Berichten Kimmichs über Auseinandersetzungen mit Repräsentanten des NS-Regimes, die ihn wiederholt in Situationen erheblicher Bedrängnis brachten. Insgesamt ergibt sich aus der Lektüre der Spruchkammerakte, dass Nachgeborene mit Bedacht die persönliche Verstrickung von historischen Personen beurteilen sollten.
Sein Fürsprecher Herrmann Stenz komt zu folgendem Schluss: „Ich halte Herrn Kimmich für einen Mann, dem das Schicksal der Dentistenschule, seiner Gründung, außerordentlich am Herzen lag und der aus diesem Grunde politisch Konzessionen machte.“

Dr. Hans Kurer, Sprecher des Nachwortes zum Karlsruher Vortrag von Michael Blumenthal im Jahr 2003. (Quelle: Bildarchiv Akademie Karlsruhe)

Die Geschichte wirkt fort

Jahre nach dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Herrschaft ist diese Epoche der deutschen Geschichte in der zahnärztlichen Akademie wiederholt zur Sprache gekommen und öffentlich erörtert worden. Gelegenheit dazu boten die Karlsruher Vorträge, die dieses Thema berührten oder ihm indirekt gewidmet waren. Im Jahr 2003 hielt Michael Blumenthal, ehemaliger Finanzminister der USA und Direktor des Jüdischen Museums Berlin, den Vortrag mit dem Titel „Juden in Deutschland - Gestern, heute und morgen“. Seine Rede war geprägt durch die persönlichen Erfahrungen, die er in der Zeit der Verfolgung, der Flucht und der Emigration gemacht hatte. Michael Heners lud für das Nachwort zu diesem Vortrag einen ganz besonderen Referenten ein, nämlich Dr. Hans Kurer aus London, der als Jugendlicher seine Heimatstadt Wien nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten hatte verlassen müssen.

Kurrer war mit seiner Familie nach England geflohen. Dort studierte er nach dem Krieg Zahnmedizin und erfand ein sehr effizientes Stiftsystem. Die Akademie lud ihn zu Kursen nach Karlsruhe ein, die er sehr gerne wahrnahm. In gutem, etwas wienerisch gefärbtem Deutsch, stellte er seine Erfindung den Kolleginnen und Kollegen vor. Über seine Vergangenheit sprach er während der Kurse nicht.
Als Sprecher des Nachwortes nahm er deutlich Stellung. Für ihn war es eine unabdingbare Voraussetzung für das Zusammenleben von Juden und Deutschen nach der Shoah, dass die Zeit der Verfolgung und Vernichtung im Gedächtnis lebendig erhalten und niemals dem Vergessen preisgegeben würde.

 

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