Zahnärztliche Akademie

Die ersten 40 Jahre – Dentist und Zahnarzt, der duale Berufsstand

1920

Die Quellen:

Die Einweihungsfeier des Lehr- und Fortbildungs-Instituts Karlsruhe des Verbandes der Dentisten im Deutschen Reich am 14. Oktober 1920

„Wer hätte je gedacht, dass so kurze Zeit nach Kriegsende, nach dem Zusammenbruch, es gelingen würde, unter den heutigen außerordentlich schwierigen Verhältnissen ein neues Institut der Fachwelt übergeben zu können?“

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Ein neues Institut für Karlsruhe

von Prof. Dr. Winfried Walther
Das Programm zur Einweihungsfeier des Fortbildungsinstitutes Karlsruhe am 14. Oktober 1920 (Quelle: Stadtarchiv Karlsruhe H-Reg. A2099

Die Einweihung

Auch 100 Jahre nach dem feierlichen Eröffnungsakt im großen Saal des Karlsruher Rathauses teilt sich dem Leser der Dentistischen Wochenschrift 1920 die festliche und hoffnungsfrohe Stimmung mit, die die Festversammlung beherrschte. Der Autor, Redakteur Bach aus München, der auch zu den Festrednern gehörte, lässt seiner Begeisterung über das neue Karlsruher Institut freien Lauf.

Der verlorene Erste Weltkrieg steckt den Teilnehmern der Versammlung noch in den Knochen. Vor dem Krieg war in Straßburg ein dentistisches Ausbildungsinstitut in Dienst genommen worden. Das ist jetzt verloren. Aber das neue Institut ist ein neuer Anfang, der Hoffnung nährt. Das kommt dadurch zum Ausdruck, dass aus ganz Deutschland Vertreter der Dentisten am Eröffnungstag teilnehmen. Auch die Stadt Karlsruhe, das Badische Ministerium des Innern und die Krankenkassen sind vertreten.

Der Bericht in der Dentistischen Wochenschrift ist ein beeindruckendes Zeitzeugnis, dessen Sprache uns heute allerdings fremd anmutet. Wir lesen jedoch auch von Anliegen und Problemen, die uns noch heute beschäftigen. Es ist dem Autor ein großes Bedürfnis, das Selbstbewusstsein der Profession zu stärken und ihren gesellschaftlichen Rang darzustellen.

Der Berufsstand der Dentisten ist noch jung. Es ist gerade 40 Jahre her, dass sich die Zahnbehandler ohne akademische Ausbildung im „Verein der Zahnkünstler“ zusammengeschlossen haben. Ihr Berufsverband heißt inzwischen „Verein der Dentisten im Deutschen Reich“.

Den Stolz darüber, dass die neue Einrichtung von den Dentisten selbst finanziert worden ist, lässt der Autor des Artikels in vielen Passagen der wiedergegebenen Redebeiträge zum Ausdruck kommen. Von der Ansprache des Landesvorsitzenden des Dentistenverbandes wird berichtet:

„Nach dem Dank an die Behörden und die Kollegen erinnerte er daran, welches Stück Wiederaufbauarbeit damit bis heute geleistet wurde, erinnert er an die Opferwilligkeit und den Idealismus der Kollegen und dankt Allen herzlich, die zum Werk mitgeholfen, das zum Segen für das Volkswohl werden soll“.

 

Das neue Institut

Es war ein besonderes Institut, das im Rathaussaal feierlich eröffnet wurde. Anders als die Schulen in München, Breslau und Köln, sollte in Karlsruhe auch Unterricht für die Fortgeschrittenen stattfinden, die „bereits im Berufe stehen und sich fortbilden wollen“. Die Fortbildung war also von der ersten Stunde an erklärtes Ziel dieses neuen Karlsruher Instituts. Eine Bestimmung, der es bis heute treu geblieben ist. Unter den dentistischen Instituten war vor der Karlsruher Neugründung nur das Berliner mit dem Anspruch versehen, Fortbildung zu leisten. Der Leiter des Berliner Institutes war deswegen ein besonders interessanter Gast in Karlsruhe. Er begrüßt die ihm erwachsende „Konkurrenz“ und erwartet „eine Belebung und Anregung auf allen Gebieten der Zahnbehandlung“. Die in Berlin verfassten Lehrbücher gehen als Spende an das neue Institut. Diese Herausforderung wurde in Karlsruhe angenommen. Es erschienen in den Jahrzehnten nach der Gründung mehrere zahnmedizinische Lehrwerke, die lange Zeit im Unterricht Gültigkeit hatten.

Grundriss zur Einrichtung einer „Zahntechniker-Schule“ in der Steinstraße 20 (Quelle: Stadtarchiv Karlsruhe BOA 4721-6)

Dem Bericht über die Einweihungsfeier folgt eine Beschreibung der Besichtigung des Instituts. Die Festversammlung zog zur Gewerbeschule in der Steinstraße, wo die neue Einrichtung in Augenschein genommen werden konnte. Es gab ein Wartezimmer und einen Plombiersaal mit 18 Stühlen, in dem sogar eine elektrische Bohrmaschine vorhanden war. Für chirurgische Eingriffe war ein „Extraktionszimmer“ eingerichtet. Ein großes zahntechnisches Labor mit 35 Sitzplätzen war schon fix und fertig. Nur der Hörsaal befand sich noch in Vorbereitung.

Der Grundriss des Institutes, vom Städtischem Hochbauamt Karlsruhe im Juli 1920 gezeichnet, wird in der Abbildung wiedergegeben. Acht Räume sind in diesem Dokument erkennbar. Es verwundert nicht, dass schon bald nach der Gründung der neuen Lehrinstitution Bemühungen aufgenommen wurden, ein größeres Domizil zu finden. Die erste Heimstatt des Institutes existiert heute nicht mehr. In den achtziger Jahren wurde das Haus im Hinterhof der Gewerbeschule im Rahmen der Altstadtsanierung abgerissen.
Quelle: Bericht Einweihungsfeier

 

Der duale Berufsstand - ein deutscher Sonderweg

Warum bestand überhaupt die Notwendigkeit der Gründung eines Dentistischen Instituts, dessen Auftrag dem glich, der von einer universitären Zahnklinik wahrgenommen wird? Der Hintergrund dieser Institutsgründung wird erst verständlich, wenn man mit der Geschichte der Zahnmedizin im Deutschen Reich vertraut ist. Deutschland beschritt hierbei einen Sonderweg, der dazu führte, dass zwei Berufsstände, nämlich die Zahnärzte und die Dentisten, die Zahnheilkunde ausübten. Dominik Groß gibt in seinem 2019 erschienenen Lehrwerk „Die Geschichte des Zahnarztberufs in Deutschland“ (siehe unten, zitierte Literatur) einen Überblick über diese Entwicklung.

Als Geburtsstunde des Dentistenstandes gilt die Einführung der Kurierfreiheit in den Ländern des Norddeutschen Bundes, die drei Jahre später im gesamten neu gegründeten Deutschen Reich Gültigkeit erlangte. Es war aufgrund dieser neuen Regelung jedem gestattet, Heilkunde gewerblich auszuüben. Somit war es legal, sich um die Zahnprobleme der leidenden Menschen zu kümmern, auch ohne überhaupt über eine Ausbildung zu verfügen. Zahnärzte gab es zu dieser Zeit nur wenige, sodass ein immenser Bedarf hinsichtlich der zahnmedizinischen Versorgung bestand. Schon bald organisierten sich die nicht-akademischen Zahnbehandler in eigenen Berufsverbänden. 1880 kam es zur Gründung des „Vereins deutscher Zahnkünstler“. Dieser Verband erwies sich als sehr effektiv in der Durchsetzung eigener Interessen und in der Abwehr von Angriffen, die durch die Zahnärzteschaft geführt wurden. Auch die Zahl der Mitglieder stieg rasant. Im Jahre 1909 gab es im Deutschen Reich über 6000 Dentisten, während nur 2600 Zahnärzte gezählt wurden. Der neue Heilberuf war sehr daran interessiert, sich auch gesellschaftlich zu etablieren. Bereits 1903 beschloss er eine eigene Prüfungsordnung, die jedoch nicht staatlich anerkannt war. Erst 1920, zeitgleich mit der Gründung des Karlsruher Instituts, kam es zum Erlass einer staatlichen Zulassungsprüfung für Dentisten.

Die Entwicklung im Badischen Musterländle war für den neuen Berufsstand der Dentisten also in hohem Maße erfreulich, bedeutete er doch einen großen Schritt in Richtung einer gesellschaftlichen Etablierung ihrer Profession. Dass schon 32 Jahre später dieser Berufsstand durch den Erlass des „Zahnheilkundegesetzes“ in der Zahnärzteschaft aufgehen würde, sah damals noch keiner voraus.

 

Bilder von damals

In unserer Bildergalerie zu diesem Beitrag haben wir Dokumente aus der Gründerzeit, Bilder aus der Gegenwart und Abbildungen des damals noch bestehenden Gebäudes vereint. Bild vier vermittelt einen starken Eindruck der gesellschaftlichen Situation im ersten Jahrzehnt des Lehrinstituts. Die Herren posieren mit Fliege oder Binder. Lediglich die Institutssekretärin in der 2. Reihe lässt ahnen, dass das Bild in den zwanziger Jahren gemacht worden ist. Das Bild Nummer 5 entstand im Jahr 2020 - am gleichen Ort. Die Stellung der Kamera aus dem Jahre 1996 wurde genau reproduziert. Selbst die Dachrinnen an der Rückfassade der Gewerbeschule sind noch am gleichen Ort.

Das Haus, das damals von den Dentisten bezogen wurde, ist freilich verschwunden. Wenn wir, wie im Foto gegeben, auf den Brunnen blicken, stand es zur rechten Hand. Heute befindet sich dort ein kleiner Garten und ein Gewächshaus (Abb. 6-8). Wie das Haus ausgesehen hat, in dessen 2. Stock die Dentistische Fortbildungs- und Lehranstalt beheimatet war, ist nur noch auf Archivbildern zu sehen (Abb 9-14). Das Haus trug den Namen „Erweiterungsbau“ und wurde im Jahre 1884 gebaut. Die Bezeichnung „Erweiterungsbau“ bezieht sich auf das städtische Krankenhaus Karlsruhes, das im 19. Jahrhundert dort stand, wo sich heute die Gewerbeschule befindet. Im Jahre 1912 zog das Krankenhaus in neue Räumlichkeiten in der Moltkestraße, wo es noch heute seine Heimstatt hat. Das Krankenhaus in der Steinstraße wurde abgerissen und durch die Gewerbeschule ersetzt. Der „Erweiterungsbau“ diente dann zunächst verschiedenen Zwecken. Eine „Ambulatorische Klinik“ war schon im 19. Jahrhundert eingerichtet worden und wurde dort weiter betrieben. Im 3. Stock befand sich eine Jugendzahnklinik. Auch ein von Schwestern betriebener Kindergarten war in diesem Haus untergebracht. Der 2. Stock konnte 1920 für die Dentistische Lehranstalt freigemacht werden und diente anschließend 9 Jahre lang als Ausbildungsstätte. Danach wurden andere Bestimmungen für dieses Haus gefunden. Zuletzt befanden sich hier Werkstätten der Carl-Hofer-Schule. Die Abbildungen 13 und 14 zeigen das Haus kurz vor seinem Abriss. Im Rahmen der Sanierung des „Dörfle“ - der großen Altstadtsanierung Karlsruhes in den siebziger und achtziger Jahren, wurde es abgerissen. Es stand bis zum Jahr 1982.

 

Zitierte Literatur
Groß, Dominik: Die Geschichte des Zahnarztberufs in Deutschland, Quintessenz, Berlin 2019

 

Weitere Informationen:

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